Dienstag, 03 März 2020 12:09

Bedürfnisse u. Lebenskünste (Teil 2)

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Biene 2Beziehung

Tagtäglich bin ich mit anderen und mit der Welt in Kontakt. Wenn ich dabei einen Konflikt habe, dann habe ich eigentlich auch mit mir selbst einen. Wenn ich dagegen mit mir und mit meinen widersprüchlichen Interessen in Harmonie leben kann, wird es mir leichter möglich sein, mit der Umwelt in Harmonie zu leben.

Über Beziehung, Verantwortung und Spiritualität

In langjährigen Partnerschaften ist die Gefahr groß, das Bekannte und Unbekannte nicht mehr in seiner einzigartigen Lebendigkeit unvoreingenommen wahrzunehmen. Aber auch für eine harmonische Traum-Beziehung sollte ich meine Eigenständigkeit nicht opfern, damit ich jederzeit angstfrei und zufrieden auf eigenen Füßen stehen kann. Spätestens bei der Liebeserklärung „Ich kann ohne dich nicht leben!“ sollten meine Alarmglocken läuten, dass hier Liebe mit Abhängigkeit verwechselt wird.

Gemeinsam verbrachte Zeit ist kein Garant einer echten Freundschaft. Vielleicht haben sich unsere Interessen und Vorlieben so sehr geändert, dass das Trennende überwiegt, und nur noch von der Gewohnheit zusammengehalten wird.

Habe ich die Ehrlichkeit und den Mut zur Veränderung, um Raum und Zeit für andere Menschen zu öffnen, die tatsächlich auf meiner jetzigen Wellenlänge schwingen?
Kann ich mich gegenüber „Energiesaugern“ und „Nervenbündeln“ abgrenzen, die mich leer und verstört zurücklassen?
Bei welchen Begegnungen habe ich das Gefühl, dass Nehmen und Geben, Reden und Zuhören in Balance sind, wo Wahrhaftigkeit, Respekt, Mitgefühl und Humor als Grundlage dienen, und die mich inspirieren, mein Herz berühren und mir Kraft und Lebendigkeit geben?

Lebens-Anforderungen

Ein Leben ohne ein gesundes Maß an Anforderung, Verantwortung, Verpflichtung, Stress und Zwang kann zu Sinnlosigkeit und Lebensmüdigkeit führen, oder sogar in Boreout und Suchtverhalten enden. Die wenigsten Menschen können von Luft und Liebe leben.
Aber wie viel Zeit verbringe ich in meinem Alltag, in einer Woche, in einem Jahr oder Leben damit, einer Arbeit oder einem Beruf nachzugehen? … vielleicht sogar ein Vielfaches von jener Zeit, die ich mit meinen liebsten Menschen und Beschäftigungen verbringe.
Wäre es da nicht sinnvoll, gewissenhaft abzuwägen, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene?

Beim japanischen Konzept von Ikigai spielen dabei vier Fragen eine wichtige Rolle:
Was mache ich gerne?
Was kann ich gut?
Was braucht die Menschheit und die Umwelt?
Womit kann ich genug Geld verdienen?

Wie viele Emotionen würde ich mir ersparen, wie viele Traumschlösser und Phantasiereisen, wie viel Kompensationsverhalten und Wehmut, wenn ich es schaffe, meine Berufung in diesem Leben zu meinem Beruf zu machen? Manchmal braucht es dazu Mut, Engagement, Geduld und ein Verständnis für das Sprichwort: „Schiffe sind im Hafen am sichersten – aber dafür wurden sie nicht gebaut!“
Als Erwachsener genügt es aber nicht, bloß Verantwortung für mein Leben und das meiner Familie zu übernehmen. Ich sollte auch über den Tellerrand blicken: Was kann ich für Nachbarn tun, für Obdachlose, Umwelt, Gemeinde, Demokratie, Menschlichkeit, Pflanzen, Tiere und für diesen Planeten ... denn es gibt keinen Planeten B?

Spiritualität

Auch wenn ich mich nach bestem Wissen und Gewissen um meine Grundbedürfnisse, Beziehungen und Verpflichtungen kümmere und ein stimmiges weltliches Leben führe, wird früher oder später der unangenehme Beigeschmack von Vergänglichkeit und Auflösung dazukommen. Dann habe ich die Chance, die Begrenztheit und Oberflächlichkeit der materiellen Welt zu durchschauen. Es liegt dann an mir, ob ich mich weiterhin an Menschen, Güter und Vergnügungen klammere, oder ob ich mich auch für andere Bewusstseinsebenen öffne. Hierbei geht es nicht mehr um das zeitbezogene und begrenzte Haben, sondern um das zeitlose und grenzenlose Sein, das mir jedem Moment offen steht.

Dieses vierte Bedürfnis ist seit Menschengedenken am mysteriösesten.
Dabei ist die wesentliche Frage, wie ich – eingebettet in einer materialistischen Gesellschaft – diese geistige Dimension entdecken kann, ohne auf überholte, religiöse Glaubenssätze zurückzugreifen?
Kann ich mir meine Prioritäten im Leben so setzen, dass ich regelmäßig Zeit finde, in der ich Verantwortung, Leistung, Ziele, Probleme und Bedürfnisse beiseitelegen kann?
Kann ich mir ein äußeres und inneres Ambiente schaffen, in dem ich genüge, so wie ich bin, und der Augenblick genügt, so wie er sich gerade präsentiert?
Wo es nicht darum geht, von irgendwo wegzukommen, und wo ich nicht danach strebe, irgendwohin zu kommen, egal ob mental, physisch oder geographisch?
Gibt es Momente, in denen ich mich für innere und äußere Kleinigkeiten und Erkenntnisse öffne, die ich im Alltag übersehe?

Solche Momente müssen nicht auf die Yogamatte oder das Meditationskissen beschränkt sein: zwischendurch innehalten, still werden und die Seele baumeln lassen, eine Bergwanderung alleine machen, nachts - wenn die Welt schläft - die Sterne betrachten und in die Stille lauschen, ein Buch lesen, das mir die Tür zu unbekannten Betrachtungen öffnet. Oder ich meditiere mit anderen oder reflektiere Themen, die in den Medien nicht vorkommen, aber vielleicht von größter Bedeutung für mein Lebensglück sind.

Übung

Zeichne einen Kreis auf ein Blatt Papier und unterteile ihn –wie Tortenstücke – entsprechend in die vier Bedürfnis-Bereiche: Welcher Abschnitt nimmt zu viel Raum, Zeit und finanzielle Mittel ein und welcher führt ein Schattendasein? Welche Aktionen und Situationen fühlen sich für dich nicht (mehr) stimmig an?
Welche Herzensanliegen könntest du in deinem Leben integrieren? Und in welchem Zeitrahmen kannst du dir vorstellen, dies unmittelbar oder Schritt für Schritt umzusetzen?

(>> Teil 1)

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