Freitag, 19 Oktober 2018 14:46

Gedanken über den Tod

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Kreuz WaldDie Natur und die Jahreszeiten halten uns einen Spiegel der Vergänglichkeit vor Augen. Jeder Jahresabschnitt steht für eine bestimmte Lebensphase: der Frühling für Geburt und Jugend; der Sommer für die Lebensmitte und Umsetzungen von Lebenszielen; der Herbst für das Ernten der Früchte und für das Loslassen im Lebensabend und der Winter für den endgültigen Abschied. Bei genauerer Betrachtung deiner Umwelt wirst du beobachten, dass nicht nur Veränderung ständig passiert - und das einzige ist, was fortdauert - sondern auch völlige Auflösung immanent da ist.


Das unausweichliche Schicksal des Todes

Es berührt dich vielleicht wenig, wenn du eine tote Fliege, einen überfahrenen Igel oder einen abgestorbenen Baum siehst. Es kann sogar wunderschön anmuten, wenn im Herbst der erste Frost sein silbernes Kleid über die Landschaft legt, auch wenn dies das Todesurteil für unzählige Tiere und Pflanzen ist. Und jene Lebewesen, die nicht in dieser schicksalhaften Nacht erfroren sind, werden den nahenden Winter oder das nächste Jahr oder Jahrzehnt nicht überleben. Wenn du über die Medien von tödlichen Unfällen, Naturkatastrophen oder Kriegen erfährst, dann wird dich das nur so lange berühren, bis die nächste „breaking news“ oder der Alltag deine Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die nie gekannten Toten in unbekannten Gegenden werden schon bald in Vergessenheit geraten.

Unter diesen Umständen wird dir und den meisten Menschen klar, dass der Tod einfach zum Leben gehört - und trotzdem wird jeder irgendwann einmal mit einer unangenehmen Grenze konfrontiert: nämlich jener, an der das Sterben nicht mehr als ein normales und distanziertes Phänomen erfahren wird, sondern als etwas ganz Persönliches, Nahes und vielleicht auch Ungerechtes.
                Meistens ist die Betroffenheit über das Ableben eines Menschen umso größer, je besser du ihn gekannt hast. Nimm dir jetzt einmal ein paar Momente Zeit und lass vor deinem geistigen Auge jene Menschen vorbeiziehen, die du lebend gekannt hattest und die mittlerweile die sterbliche Hülle ihres Körpers hinter sich gelassen haben. Egal, ob die Verbindung zu ihnen nur flüchtig oder sehr innig war, ob du sie geliebt hattest oder du sie nicht ausstehen konntest, ob sie jung oder alt, gesund oder krank, reich oder arm, intelligent oder einfältig waren... das gleiche Schicksal hat sie alle getroffen.
                Geh jetzt in deiner Kontemplation einen Schritt weiter und mach dir bewusst, dass all die Menschen, denen du heute begegnest bist und begegnen wirst, irgendwann einmal das gleiche Schicksal treffen wird: der Verkäuferin, dem Fußgänger, dem Nachbarn, der Mitarbeiterin, der Freundin, den Eltern, den Kindern und dem Partner. Jeder von ihnen wird ebenfalls einmal diese Schwelle ins Unbekannte überschreiten müssen: früher oder später, vorhersehbar oder ganz plötzlich.

Dein ständige Lebensbegleiter

Alles im Leben verändert sich früher oder später: Körper, Atem, Gedanken, Gefühle, die Menschen und Partner, die Umgebung und das Zuhause. Nur der Tod begleitet dich ständig und hängt wie das Damoklesschwert über dir; vom Moment der Zeugung und vom ersten Atemzug bis zum letzten. Wenn es zwischen den Menschen so viele offensichtliche Unterschiede und scheinbare Ungerechtigkeiten gibt, gilt dennoch die unausweichliche Sterblichkeit für alle Wesen.
                „Einmal kommt für uns alle die Stunde, in der es kein Ausweichen mehr gibt, in der auch der nächste Freund an der Schwelle, die es zu überschreiten gilt, zurückbleiben muss, in der jeder ganz alleine auf sich gestellt ist.“ (Minna Cauer)

Es gibt vier Fragen die uns alle betreffen und die niemand mit Sicherheit beantworten kann:
1) Wann werde ich sterben?
2) Wie werde ich sterben?
3) Wo werde ich sterben?
4) Was geschieht mit mir nach dem Tod?

Egal wie dogmatisch und genau die letzte Frage in den unterschiedlichen Religionen und Wissenschaften beantwortet wird: Der Tod ist und bleibt ein Mysterium. Wie du und alle anderen Wesen mit diesen Fragen und dieser todsicheren Tatsache umgehen, ist so unterschiedlich wie es Individuen gibt.

Ignorieren und Kompensieren

Manche tendieren dazu, die Sterblichkeit so gut es geht zu ignorieren, zu verdrängen oder zu kompensieren - egal ob mit bestimmten Gedanken, Beschäftigungen, Konsumrausch oder Hedonismus. Wie in einem Hamsterrad versuchen sie tagtäglich - vom Aufwachen bis zum Einschlafen - mit viel Beschäftigung und Wichtigkeit vor sich und ihrem Schicksal davon zu laufen.

Einige sind von der brutalen Sterblichkeit (der anderen) so fasziniert, dass sie mit Hilfe von Filmen, Büchern und Medienberichten über Horrorgeschichten, Kriege, Mord und Totschlag ihre Langweile totschlagen. Eine riesige Unterhaltungsindustrie verdient mit solchen morbiden Geschäften Millionen. Auch Skelette und Totenschädel als super-cooler Modetrend auf Kleidung gedruckt - oder auf Haut verewigt - haben oft wenig mit einem bewussten und würdevollen Umgang zu tun.

Eine deprimierende Tatsache

Andere nehmen dieses Thema sehr ernst und wichtig, vielleicht weil der Tod schon einmal an ihre Tür geklopft hat oder weil jemand in der Familie oder im Bekanntenkreis damit gerade konfrontiert wird. Wenn du nicht gut gerüstet bist, dann kann dich so ein Umstand sehr leicht aus deiner Balance bringen. Gefühle von Angst, Verwirrung, Traurigkeit, Wut, Verzweiflung, Sinnlosigkeit oder sogar Lebens-Müdigkeit nisten sich auf Kosten von Lebensfreude und Lebenskraft in deiner Seele ein. Nach so einem Schicksalsschlag braucht es manchmal viel Zeit, bis ein „normales Leben“ wieder möglich wird. Einige bleiben hilflos in einer Depression stecken, andere nutzen es als Chance und erleben so eine Art Lebensfrühling.

 „Wer versucht ein Leben zu führen, in dem er den Tod verleugnet, der versucht, sich nur an einem Ufer entlang zu bewegen. Sein Bewusstseinsstrom kann so nicht umfassend sein. Es wird ihm etwas fehlen; und zwar etwas sehr Schönes. Sein Leben wird künstlich sein – ohne alle Tiefe. Ohne den Tod gibt es keine Tiefe.“ (Osho)

Der spirituelle Zugang

Auch wenn ein verdrängender, perverser und betrübender Umgang mit dem Tod relativ normal und menschlich ist, so gibt es noch eine ganz andere Art, wie man sich diesem heiklen Thema annähern kann: Nämlich aus einer sattvischen Geisteshaltung, die Bewusstheit, Einfühlungsvermögen und Gelassenheit miteinander verbindet. Wenn dir in einem klaren Moment bewusst wird, dass alles in deinem Leben und auf diesem Planeten vergänglich ist – WIRKLICH ALLES - dann erahnst du, dass nichts, was du täglich erlebst, selbstverständlich ist.

Wenn du heute abends zu Bett gehst, kannst du dir nicht sicher sein, dass du morgen wieder aufwachen wirst. Wenn du dich morgens von deinem Schlaflager erhebst, kann dir niemand garantieren, dass du dorthin abends auch wieder lebendig und gesund zurückkehren wirst. Wenn du deinen Wohnort verlässt, dann kann es sein, dass du dein Haus oder deine Wohnung nie mehr wieder betreten wirst. Wenn du dich von jemandem verabschiedest, dann weiß keiner, ob je wieder eine weitere Begegnung stattfinden wird. Diese Erkenntnis der Vergänglichkeit von allen Wesen und Lebensumständen kann eine unglaublich tiefe Dankbarkeit entstehen lassen.

Lebensprioritäten

Jeder Tag, jede Begegnung, jede Situation wird durch das Todesbewusstsein zu etwas Besonderem. Statt Angst entfaltet sich Dankbarkeit, Liebe, Freude, Kraft und Mut dem eigenen Leben gegenüber. Plötzlich oder allmählich werden sich dadurch deine Prioritäten ändern: Dinge, Situationen und Menschen, werden dir unwichtiger oder gewinnen an unbezahlbarer Bedeutung.

 „Der Tod nimmt uns alles. Gelänge es uns, vorher schon etwas Ballast abzuwerfen, würden wir uns freier fühlen … Warum bis zum letzten Moment warten, um reinen Tisch zu machen, den Ballast an Dingen und Emotionen ins Meer zu werfen, den wir mit uns herumschleppen?“ (Tiziano Terzani)

Ein meditativer Umgang mit dem Tod wird dazu führen, dass du dich nicht mehr so stark von Gewohnheiten und den Meinung der anderen beeinflussen lässt. Umso mehr wirst du das tun, was dir sinnvoll erscheint und Freude bereitet. Du wirst Ruhm, Geld und materiellen Dingen nicht mehr mit hängender Zunge nachlaufen, denn du weißt, dass du nichts davon ins Grab mitnehmen kannst. Umso mehr wirst du darauf achten, wo dein Herz tatsächlich aufgeht. So wirst du Vergänglichkeit und Tod nicht mehr als gefürchteten Feind empfinden, sondern als deinen wichtigsten Lehrer in der lebenslangen Schule des Lebens.

Wahrheitsfindung und Identifikationswechsel

Im der Brihadaranyaka Upanishad wird folgendes Jahrtausende alte Mantra zitiert:
oṃ asato mā sad gamaya
tamaso mā jyotir gamaya
mṛtyor māmṛtaṃ gamayeti


 „Führe uns vom Unwirklichen zur Wahrheit,
von der Dunkelheit zum Licht,
von der Sterblichkeit zum ewigen Leben.“

Der Schlüssel zum bedingungslosen Glück besteht darin, die Identifikation mit dem sterblichen Körper loszulassen. Und eigentlich ist sich „jeder des ewigen Selbst bewusst. Man sieht so viele Menschen sterben und hält sich doch für ewig, weil es die natürliche Wahrheit ist. Getäuscht wird der Mensch, weil er das bewusste Selbst mit dem sterblichen Körper verwechselt.“ (Ramana Maharshi)

Wenn wir dies zumindest ansatzweise erahnen und wenn wir beobachten, wie nach dem Winter wieder ein Frühling kommt, dann können wir getrost durchs Leben gehen und wissen, dass der Tod uns eigentlich nichts anhaben kann.

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