Montag, 19 November 2018 12:55

Meditative Metta-Gedanken

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herz peacte strand„Es ist Unsinn, sagt die Vernunft / Es ist was es ist, sagt die Liebe
Es ist Unglück, sagt die Berechnung / Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst
Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht / Es ist was es ist, sagt die Liebe
Es ist lächerlich, sagt der Stolz / Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung / Es ist was es ist, sagt die Liebe.“
Erich Fried

Liebende-Güte-Meditation

Unsere unvorstellbar reichhaltige Gefühlswelt wird wahrscheinlich nur von zwei Grundgefühlen initiiert: Angst und Liebe. Und trotz vieler übernommener Muster, mitgebrachter Erfahrungen und gegenwärtiger Umstände liegt es im Endeffekt immer an dir, mit welcher inneren Haltung du diesem Augenblick und deinem Leben begegnest.

Das Wort (Sanskrit Maitrī) kommt aus dem Pali, jener Sprache, in der die ursprünglich ältesten buddhistischen Texte verfasst sind und bedeutet ‚liebende Güte‘, ‚grenzenlose Liebe‘ oder ‚bedingungslose Freundlichkeit‘. Dabei geht es zunächst gar nicht darum, hohen Idealen oder übermenschlichen Heiligen nachzueifern, sondern sich bewusst zu machen, dass alle tiefgreifenden Veränderungen ihren Ursprung in dir haben. Und in diesem Sinne möchte ich dich zu einer meditativen Metta-Reise einladen.

Körper

Spüre zunächst einmal deinen Körper in einer völlig unvoreingenommenen Art und Weise, ganz ohne Vorstellung und Wertung. Erlebe seine feine Lebendigkeit, die nur dann wahrnehmbar ist, wenn du innehältst und sich deine Sinne nicht im Äußeren verlieren. Nimm dieses beseelte Phänomen so wahr, als würdest du es zum ersten Mal bewohnen. Mach dir dabei bewusst, welche besondere Erfahrung es ist, dies in diesem Moment und auf diese Art erleben und beleben zu dürfen. Seit so vielen Jahren und Jahrzehnten steht dir dieser Körper zur Verfügung, damit du deinen Notwendigkeiten, Bedürfnissen und Freuden nachgehen kannst. Oft wird diese Leihgabe der Natur erst dann als einzigartiges Geschenk erkannt, wenn – meist unvorhergesehen – Krankheit oder Gebrechen eintreten. Welcher Segen ist es dagegen, gesund zu sein und mit diesem wunderbaren Vehikel schmerzfrei und ohne fremde Hilfe diesen wunderschönen Planeten begehen und entdecken zu dürfen?

Fürsorge

Je mehr du die Besonderheit der Elemente in dir schätzen lernst, umso eher wirst du diesen Körper nicht nur als reines Mittel zum Zweck benutzen. Du wirst dich um ihn fürsorglich kümmern wie um ein Kind: du wirst ihn mit den bestmöglichen Lebensmitteln ernähren und ihm davon weder zu viel noch zu wenig geben; du wirst ihn bewegen - aber weder zu extrem noch zu wenig; und du wirst dem Körper entsprechende Ruhephasen gönnen - aber auch davon weder zu viel noch zu wenig. Die Art, wie du mit ihm umgehst, zeigt sich auch darin, wie du mit der Natur umgehst und umgehkehrt. Und nicht zuletzt spiegelt auch die Zerstörung unseres Planeten unsere gesellschaftlichen Prioritäten wider: „Denn erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ (Alanis Obomsawin)

Mentale Nahrung

Mach dir auch liebevoll bewusst, dass du nicht nur dieser Körper bist, sondern dass du auch einen wunderbaren Geist hast, mit den einzigartigen Fähigkeiten, logisch zu denken, sich an vergangene Ereignisse und Begegnungen zu erinnern, aus Fehlern zu lernen und für die Zukunft zu planen. Es liegt an dir, welche heilsame oder unheilsame Nahrung du deinem Geist zuführst: was schaust du an, was liest, was hörst und was denkst du von morgen bis abend, von Montag bis Sonntag und während all den unterschiedlichen Jahreszeiten und Lebensphasen, die du durchleben darfst.

Geduld & Humor

Wenn du kleineren körperlichen und mentalen Unannehmlichkeiten mit Geduld und Freundlichkeit begegnest, wird es dir vielleicht auch gelingen, eine ernsthaftere Krankheit als Lebenslehre anzunehmen; ähnlich wie dies der Sufi-Mystiker Rumi beschreibt: „Das menschliche Dasein ist ein Gasthaus. Jeden Morgen ein neuer Gast. Freude, Kummer und Niedertracht - auch ein kurzer Moment der Achtsamkeit kommt als unverhoffter Besucher. Begrüße und bewirte sie alle! Selbst wenn es eine Schar von Sorgen ist, die gewaltsam alle Möbel aus deinem Haus fegt, erweise dennoch jedem Gast die Ehre. Vielleicht bereitet er dich vor auf ganz neue Freuden. Dem dunklen Gedanken, der Scham, der Bosheit - begegne ihnen lachend an der Tür und lade sie zu dir ein. Sei dankbar für jeden, der kommt, denn alle sind dir zur Führung geschickt worden aus einer anderen Welt.“

Intuition & Herz

In dir schlummert eine Intuition, die ein unersetzlicher Kompass auf deiner persönlichen Lebensreise ist … aber nur, wenn es dir gelingt, auf diese oft sehr leise Herzens-Stimme zu hören. Und das kann auch bedeuten, gegen den mächtigen Strom von üblichen Meinungen, Traditionen, Gewohnheiten und Vorlieben zu schwimmen. Erst wenn du dieses Gefühlspflänzchen regelmäßig und mit viel Liebe pflegst, gießt, düngst, und von Unkraut befreist, wird es zu einem kraftvollen Baum heranwachsen, an den du dich verlässlich anlehnen und unter dessen Schatten du dich vom hitzigen Gefecht des Alltags ausruhen kannst. 
Aadil Palkhivala hat einmal gesagt: „Dem Herzen folgen und nicht so sehr dem Kopf oder unserer Lust – das ist der einzige Weg, zu mehr Magie im Leben. Lernen, auf die leise Stimme zu hören und nicht so sehr auf die lauten Stimmen des rationalen Hirns oder der blinden Leidenschaft. Nur unser Herz kann uns zu unserem Spirit, unserer Seele, führen – und unsere Seele ist das wahre Wunder.“

Dein Feind als Lebenslehrer

Die hohe Kunst der Metta-Meditation liegt nicht darin, jenen Verständnis und Freundlichkeit entgegen zu bringen, die du sowieso sympathisch findest, sondern wie du mit jenen umgehst, die bei dir negative Emotionen triggern oder die du als bösartig und feindlich beurteilst. Gerade diese Menschen sind manchmal die besten Lebenslehrer und Spiegelhalter auf deinem Weg zur Selbsterkenntnis. Auch wenn jede negative Emotion, die du gegen jemanden anderen richtest, dir selber am meisten Schaden zufügt, solltest du dich nicht zum Fußabstreifer degenerieren lassen.
Ein tibetischer Rinpoche sagte einmal, dass transformierende Metta nur aus einer tiefgreifenden Gleich-Gültigkeit heraus entstehen kann. Diese hohe Kunst der Liebe hat Rudyard Kipling in seinem bedeutendsten Gedichte im Jahre 1895 so verewigt:
„If you can keep your head when all about you / Are losing theirs and blaming it on you;
If you can trust yourself when all men doubt you, But making allowance to their doubting too;
If you can wait and not be tired by waiting, Or being lied about, don’t deal in lies,
Or being hated, don’t give way to hating, And yet don’t look too good, nor talk too wise.”

Wenn du auf diese Weise den Metta-Gedanken lebst, wirst du erkennen, dass alles bei dir beginnt und bei dir endet, denn mit niemand anderem musst du den Rest deines Lebens so eng zusammenleben.

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