In dem 1974 veröffentlichten Buch „Superconscious Meditation“ schreibt Swami Veda Bharati (1933 – 2015) Folgendes: „Derzeit sind im Westen drei Arten des Yogas bekannt. Ich bezeichne diese als Hollywood Yoga, Harvard Yoga und Himalaya Yoga.“
Diese unkonventionelle, aber treffende Unterteilung wurde zu einer Zeit gemacht, als Yoga in erster Linie noch im ursprünglichen Sinne als meditative Praxis zur Selbsterkenntnis verstanden wurde und nicht als schweißtreibendes Bodyworkout mit Musikbegleitung. Und damals wurde mit Yogasanas auch noch nicht für Kaffee oder andere modische „spirituelle Notwendigkeiten“ geworben.
Dieses Statement kam acht Jahrzehnte nachdem Swami Vivekananda (1863 – 1902) als Erster die Yoga-Philosophie nach Amerika exportierte, dabei aber seine Zuhörer ausdrücklich warnte, dass „die eigenartigen Atemübungen des Hatha-Yoga nichts anderes sind als eine Art Gymnastik“ – und das ausgerechnet in einem Land, wo heute geschätzte 20 Millionen darauf stolz sind „Yoga-Gymnastik“ zu betreiben.
Swami Veda schreibt weiter: „Hollywood Yoga ist für jene attraktiv, die einen fitten Körper, ewige Jugend und körperliche Schönheit anstreben.“ Diese Ziele sind an sich nicht verwerflich, aber wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass dies der eigentliche Sinn des Yoga sei. Aadil Palkhivala, einer meiner geschätzten indischen Lehrer, sagte einmal: „Ohne Asana-Praxis schwächt man den Körper, macht man davon zu viel, stärkt man das Ego.“
Es ist eine große Kunst, im Körper (und damit auch im Geist) das Gleichgewicht von Stabilität (sthira) und Entspannung (sukham) zu entfalten; es ist aber noch eine viel größere Kunst, sich damit nicht zu identifizieren. Das heißt: ganz egal wie viel Zeit und Eifer ich in meine „Yoga-Gymnastik“ stecke, die Naturgesetze von Alter, Krankheit und Tod werden mir eines Tages die Schranken setzen. Spätestens dann wird mir klar werden, wie weit ich tatsächlich durch Yoga gelernt habe, die leidvollen Spannungen (klesha) von Unwissenheit, Egoismus, Begehren, Widerstand und Angst vor dem Tode zu durchschauen und zu reduzieren.
Unter Harvard Yoga könnte man all die faszinierenden Fakten zusammenfassen, die sich wissenschaftlich beweisen lassen. Durch zu viel Wissen verlieren wir aber die Fähigkeit, unvoreingenommen den Körper zu spüren und den Geist meditativ zu beobachten, ganz ohne Vorliebe und Abneigung.
„Das letzte Ziel“, so schreibt Sami Veda, „ist zugleich auch das höchste Ziel des Himalaya Yogis, und nennt sich Samadhi, das Wissen jenes Aspektes des Selbst, welches das reine Selbst (ātman) ist“. Trotz des anhaltenden Yogagymnastik-Booms mit all den neuen Stilen und ihren heilig klingenden und heilsversprechenden Sanskrit-Bezeichnungen sollten wir uns im Westen darüber im Klaren sein: die größten Yogis waren nicht jene, die sich am eindrucksvollsten verrenken konnten. Wäre dem so, dann wären beispielsweise alle Artisten von Cirque de Soleil schon längst erleuchtet, Interessanterweise haben die größten Yoga-Meister des 20. Jahrhunderts, wie Sri Ramana Maharshi (1879 – 1950), der bekannteste Jnana-Yogi, und Sri Aurobindo (1872 – 1950), der die traditionellen Disziplinen Jnana Yoga (Yoga des Wissens), Karma-Yoga (Yoga der Tat) und Bhakti Yoga (Yoga der Hingabe) miteinander verknüpfte, den Yogasanas wenig oder keine Bedeutung zugemessen.
Bedenkt man aber, dass heutzutage ca. 30 % der Bevölkerung Rückenschmerzen hat, 60 % der Erwachsenen übergewichtig sind und dass bei Kindern Bewegungsmangel und bei Erwachsenen Burn-out häufige Krankheitsursachen sind, dann wird klar, dass eine ausgleichende Asana-Praxis ein wichtiger Schritt für ein gesundes und ausgeglichenes Leben ist. Wie weit wir uns über das populäre Hollywood-Yoga hinaus in die transformierenden Tiefen des Himalaya-Yoga wagen, entscheidet letztendlich der Sinn (dharma) dem wir unser Leben geben, und unser Verlangen nach bedingungsloser Freiheit (mokṣa). Sobald wir in die Welt des Yoga eintauchen, werden wir mit den 3 Arten des Yoga konfrontiert werden …. und es liegt an uns, für welchen Weg wir uns entscheiden.
PS: Diesen Artikel habe ich 2012 für Yoga.Zeit geschrieben. Das Foto zeigt eine sommerliche meditative Morgenstimmung am Irrsee.
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Begriffe: Gymnastik, Hatha-Yoga, Selbsterkenntnis