Das alte yogische Konzept der Gunas kann als ein wichtiger spiritueller Wegweiser gesehen und in die Praxis und ins Leben integriert werden.

Wenn unser Geist von tamasischen und rajasischen Kräften beeinflusst wird, dann ist auch unsere Sichtweise auf die Welt entsprechend subjektiv gefärbt. So kann Tamas die Empfindung hervorrufen, dass alle gegen uns oder wir an allem schuld sind, und es keinen Ausweg gibt. Haben wir eine rajasísche Brille auf, dann sehen wir hinter allem und jedem nur ein Mittel, um irgendwelche Ziele zu erreichen. Nur im sattvischen Zustand ist es uns möglich, einen gewissen objektiven Blickwinkel einzunehmen und das Spiel der Gunas zu durchschauen, ohne darauf reagieren zu müssen.

Die scheinbar gleiche Erfahrung kann völlig unterschiedlich wahrgenommen werden. Wenn ein betrunkener Fahrer (Tamas) mit einem schlecht gefederten Auto (unausgeglichener Körper-Geist) über einen Weg mit Schlaglöchern fährt, dann wird ihm dies mit seinem betäubten Geist wenig stören. Fährt jemand im Stress (Rajas) den gleichen holprigen Weg im gleichen Wagen, dann wird er ungeduldig oder wütend. Fährt ein fröhlich entspannter Fahrer (Sattva) den gleichen Weg mit einem gut gefederten Auto (psychosomatisch in Balance), dann fühlt er sich vom Schaukeln in keiner Weise irritiert, sondern genießt die Entschleunigung und die wunderbare Umgebung.

Wechselspiel der Gunas
Ein Lebensstil mit exzessive Rajas – voller Hektik, Unruhe und ungenügend Ruhe- und Schlafpausen – macht uns anfällig für Tamas in Form von Erschöpfung und Krankheiten. Tamasisches Verhalten verstärkt tamasische Gewohnheiten, wie man bei Depression, Suchtabhängigkeit und Gewalt beobachten kann. Dagegen kann Ehrgeiz und Anstrengung als rajasischer Input ‚Not-wendig‘ sein, um einen tamasischen Geist aus seiner dunklen Aussichtslosigkeit in eine hellere sattvische Richtung zu lenken.

Daher wird diese heilsame Transformation mit einer Lotuspflanze verglichen. Ihr Wachstum beginnt im Schlamm und in der Dunkelheit (Tamas); setzt sich im bewegten Wasser (Rajas) fort, bis sie irgendwann über die Oberfläche hinaus wächst und in der Luft und im Licht (Sattva) ihre Blüte entfaltet.

Meditation
Wenn wir uns für eine meditative Praxis und Lebensstil entschließen, dann werden die gröberen Aspekte von Tamas und Rajas durch feinere ersetzt: Rajas kann sich dann in Form von Begehren nach ruhigen Geisteszuständen bemerkbar machen; oder durch Irritation gegenüber dem endlosen Gedankenfluss; und Tamas kann in Form von Müdigkeit oder Zweifel als Störfaktor auftreten. Erst wenn diese Hindernisse transformiert werden (siehe y.a. Okt./Nov. 2016), wird sich Sattva durch Wachheit, Klarheit und Gelassenheit zeigen.

„Wo es eine Steigerung von Sattva gibt, ist Glanz, Helligkeit, Freude, Reinheit, Stärke, Frieden und Erleuchtung. Eure wichtige Pflicht ist es, Sattva zu steigern und die Sinne und den Geist zu kontrollieren. Andere Pflichten sind nur zweitrangig, aber nur ein vernünftiger Mensch kann diesen Punkt verstehen.“ (Swami Sivananda)

Gunatita: Der Zustand jenseits der Gunas
Trotz der unterschiedlichen Qualitäten der Gunas sind alle drei vom Ich-Gedanken und Identifikation durchdrungen. Dennoch gilt Sattva als das einzige Sprungbrett, welches uns in die transpersonale Dimension zu bringen vermag. So kann man manchmal nach einer Meditation erahnen, dass man weder Körper, Geist noch Gefühl ist, sondern einfach bedingungsloses, grenzenloses und zeitloses Bewusstsein. Ähnlich existiert die Leinwand – unabhängig von jenen darauf projizierten Bildern, die die unvorstellbare Vielfalt des Lebens und der Gunas widerspiegeln. Dennoch bleibt die Leinwand davon völlig unberührt.

Kompass fürs Leben
Mit Achtsamkeit, Geduld und Weisheit wird es uns allmählich gelingen, das Konzept der Gunas zu einem intuitiven Kompass zu transformieren – egal wo wir gerade sind, und was immer wir machen. Die daraus sich entfaltende Lebensweise und Einstellung verstärkt nicht nur das heilsame Bedürfnis nach sattvischer Nahrung, Umgebung und Menschen. Es lässt uns auch das richtige Maß an Ruhe (Tamas) und Aktivität (Rajas) finden, sodass wir uns mehr im Einklang mit unserem menschlichen Dasein erleben, und mit weniger Angst vor Alter, Krankheit, Tod und was auch immer danach kommen wird.

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