„Robert Blys „Eisenhans“ ist keine Hilfspredigt, keine allein selig machende Doktorin – im Gegenteil, das Buch ist ein Angebot an den Leser, sich mit dem Problem der Männlichkeit auseinander zu setzen, zu erkennen, dass es keine Automatik gibt, die aus Jungen Männer macht, sondern dass dies durch einen Prozess erreicht wird, der nicht immer auf jeder Stufe glückt. „Eisenhans“ zeigt einen Weg auf, den Männer nehmen und den Frauen verstehen können.“
Dies ist eine Fortsetzung von meinem Blogartikel „Eisenhans – Gedanken über das Mannsein“ vom 10. September 2024.
Der Raub der Väter
Was die Ursache ist, dass heutzutage nur wenig Söhne den Lebenssinn ihrer Väter so klar zu Hause miterleben dürfen, beschreibt Gerald Ehegartner in seinem bemerkenswerten Artikel „Wo bleiben die starken Männer in der Krise?“ :
„Mit Beginn der Industrialisierung vor etwa 200 Jahren verschwanden die Väter aus ihren Familien. Sie wurden den Fabriken und Maschinen geopfert und zu Objekten verarbeitet. Sie mutierten zu Arbeitern, die nur für kurze Zeit ihre Familie sehen konnten und für deren Auskommen sie schufteten. Die Mütter und der Rest der Familie hatten sich nun alleine um die Kinder zu kümmern. Die Präsenz des Vaters, der früher seine Kompetenzen besonders den Jungen weitergeben konnte, wurde der Maschinenwelt geopfert. Viele erlebten ihre Väter nur mehr selten, unnahbar, mürrisch und ausgelaugt. Das Trauma des abwesenden Vaters in der westlichen Welt war geboren.“
Erziehung durch Männer
Robert Bly beschreibt in seinem Buch „Eisenhans“, welches seit 35 Jahren die moderne westliche Männerbewegung in ihrem Selbstbewusstsein prägt: Bei Naturvölkern ist es selbstverständlich, dass Buben im Alter von 10 Jahren den Müttern „weggenommen“ werden, um von Männern großgezogen und initiiert werden. Diese Art der männlichen Erziehung ist in unserer modernen Gesellschaft völlig verloren gegangen und darin sieht Robert Bly eines der Hauptursachen, warum Männer – und damit unsere Gesellschaft – sich in einer gewaltigen und gewaltsamen Krise befindet.
Passivität, Naivität und Taubheit
In „Eisenhans“ werden unter anderem jene Ursachen erläutert, warum viele „gezähmte und zivilisierte“ Männer in unserer künstlichen Konsumgesellschaft unter Passivität, Naivität und Taubheit leiden. Genau diese Schwachpunkte sind in den letzten Jahren demaskiert worden, denn nicht alle haben sich die Mühe gemacht den Mainstream und die Politiker-Entscheidung zu hinterfragen. Vielleicht sollte man auf gesellschaftlicher und politischer Bühne und von jedem Mann und von jeder Frau bewusst reflektiert werden, wie es möglich war, dass ausgerechnet die Schwächsten unserer Gesellschaft, nämlich die Kinder und Alten, so unmenschlich unter die Räder kommen konnten.
Als hätte Robert Bly schon in den 90er Jahren die Zukunft vorhergesehen, verweist er in „‘Eisenhans‘ auf das uralte Motiv des „wilden Mannes”, um einen dritten Weg zu zeigen. Männlich ist hier weder aggressives Barbarentum noch unterwürfige Anpassung, sondern die Entwicklung von innerer Stärke, Verantwortungsbewusstsein und reifer Liebesfähigkeit.“
Zeus-Energie
Eine wesentliche Ursache, warum wir Männer heutzutage auf unterschiedlichen vielen Ebenen so leicht zu Opfern und Tätern werden, liegt darin, dass wir folgende fünf Zeus-Energien nicht kennen, geschweige denn kultivieren:
- Intelligenz: Darunter versteht man weder weltfremdes noch akademisches Wissen, sondern einen praktischen Hausverstand, der uns dabei hilft, im Alltag mit seinen Herausforderungen lösungsorientiert und realistisch zurecht zu kommen.
- Robuste Gesundheit beinhaltet eine körperliche Fitness und ein Immunsystem, mit dem wir uns psychosomatische Wesen kompetent und wohl fühlen. Dazu gehört auch eine gesunde Disziplin, um richtig mit den Anstrengungen, Verletzungen und Krankheiten umgehen zu können, die schlicht und einfach zum Leben gehören.
- Mitfühlende Zielstrebigkeit ist das Gegenteil vom üblichen Konkurrenzdenken und der Radfahrermentalität: Nach unten treten und nach oben buckeln, um auf der Karriereleiter aufzusteigen.
- Wohlwollen: Eines der wesentlichen Rezepte für Zufriedenheit und Glück besteht darin, sich selbst täglich mit einer freundlichen Haltung zu begegnen und ebenso allen Menschen, Lebewesen und Lebenssituationen.
- Großzügige Führung: Eine liebevolle Autorität erwarten wir insgeheim von allen Politikern, Vorgesetzten und Vätern. Und die große Frage und Herausforderung ist: Wie schafft man(n) es, diese Einstellung im eigenen Leben unter den gegenwärtigen Umständen zu kultivieren?
Friedvoller Krieger und Vatergeschenke
„Der friedvolle Krieger ruft zum Ungehorsam gegenüber allem Lebensverneinenden auf. […] Rebellische Männer verbinden sich in dieser Zeit mit rebellischen Frauen, um dem Krieg gegen das Menschsein, gegen die Natur Einhalt zu gebieten. Sie lassen sich nicht mehr von der Bewaffnung der Moral blenden. Sie kämpfen für das Leben, für die Liebe und Poesie. Und sie wissen, dass es die Wiederentdeckung der Spiritualität ist, die sie ganz werden lässt.“ (www.tkp.at)
Außerdem gibt es weitere sechs Qualitäten, die keine Mutter und keine Frau für uns Männer und Väter übernehmen kann: Kraft, Scharfsinn, Wunsch nach Durchdringung, Lebendigkeit, Impulsivität und Wagemut.
Natürliche Rollenverteilung
Auch wenn es ein heiß diskutiertes Thema ist, zweifle ich daran, ob unsere Gesellschaft mit ihren komplizierten, hippen und künstlichen Rollenspielen tatsächlich für uns Männer und für Frauen in eine Richtung geht, die für die gesamte Menschheit gesund, wahrhaftig und natürlich ist. Taoisten folgen weder Trends noch Heilslehren oder Heilsbringern. Ihr großes Vorbild ist die Natur und darin beobachten sie Kräfte, die sie Chi, Te, Ying & Yang bezeichnen. Dazu schreibt Walter Braun in seinem Tao-Buch „Auf der Suche nach dem perfekten Tag„:
„Die traditionelle Aufteilung der Gemeinschaft in männliche Rollen (Yang) und weibliche Rollen (Yin) folgte dem Vorbild der Natur und hatte daher größere Chance auf Harmonie. [….] Wozu eine Umkehr überhaupt gut sein soll, fragt besser niemand – der nackte ideologische Wahnsinn wäre zu deutlich sichtbar. Wie aufreizend klingt im Vergleich dazu Tschuang Tses Rat: «Lasst die Dinge ihren natürlichen Lauf nehmen …»
Unsere Kultur sieht Stärke nur im Yang; ein starkes Yang verlangt aber nach einem starken Yin, und ein starkes Yin zeichnet sich eben nicht durch externe Aktivitäten und forciertes Erfolgsstreben aus. Wer Yang betont und Yin ausschließt, wird alsbald unter physischer, emotionaler und geistiger Krankheit leiden.“
Um aus dieser problematischen und krankmachenden Sackgasse unserer „zivilisierte“ Gesellschaft herauszukommen, sollten wir es wagen, einen vorurteilsfreien und kritischen Blickwinkel einzunehmen: „Traditionelle Gemeinschaften waren in ihrer Anordnung den heutigen insofern überlegen, als von Natur aus Männer eher zu einem Yang- und Frauen zu einem Yin-Schwerpunkt tendieren (wiewohl natürlich beide Geschlechter beide Pole in sich tragen).“
Es liegt an uns Männern, ob wir uns künftig mehr in Richtung einer natürlichen Männlichkeit entwickeln können, die Stärke mit Herzlichkeit und Selbstbewusstsein mit Toleranz verbindet. Und da jeder die Gesellschaft jetzt und künftig prägt, sollten wir gut darauf achten, mit welchen inneren Absichten, mit welchen äußeren Haltungen und mit welchen transformierenden Handlungen wir unsere spirituellen und weltlichen Lebenswege gehen.
Ankündigung: „Mann.Sein: Das Retreat für die Natur in Dir“ vom 5. – 10. August 2025 im Burgenland
Begriffe: Balance, Lebensqualität, Lebenssinn, Männer, Mannsein, Selbstbewusstsein, Wahrhaftigkeit