“Hard times create strong men.
Strong men create good times.
Good times create weak men.
And, weak men create hard times.”
G. Michael Hopf

Grenzen des Wachstums

Wenn wir die Welt verändern wollen, sollten wir uns zunächst bewusst werden: Keine Kultur, keine Religion und keine Gesellschaft werden für immer erblühen und wachsen. Dieses Prinzip von Transformation im Leben und Veränderung in der Welt kann man nicht nur beim Menschen beobachten, sondern wird uns auch deutlich in der Natur vor Augen geführt. Schlägt das Pendel in die eine Richtung, dann wird es früher oder später in die andere Richtung zurückschlagen. Da wir in eine gewisse Pendelbewegung hineingeboren wurden und diese manchmal Generationen oder sogar Jahrtausende andauert, können wir uns manchmal gar nicht vorstellen, dass ein Aufschwung zu einem Abschwung werden kann und umgekehrt.

Auch jetzt und gerade seit dem Jahr 2020 erleben wir ungewöhnliche und bewegte Zeiten. In vieler Hinsicht gibt es Ängste, Unsicherheiten und Ent-Täuschungen – im wahrsten Sinne des Wortes. Wer hätte es noch vor Kurzem für möglich gehalten, was alles an Verordnungen und Ausgrenzungen in einer westlichen Demokratie und in einer aufgeklärten Gesellschaft durchgesetzt werden kann.

Compliance-Bias

Bei extremen und unbekannten Ereignissen haben viele Menschen das Bedürfnis, sich an der Mehrheit zu orientieren und möglichst unauffällig mitzuschwimmen, „…nach dem Motto: »Wenn die meisten dieser Meinung sind, muss da wohl was dran sein.« Und wenn wir doch anders denken, verschweigen wir das lieber und vermeiden es künftig, das Thema anzusprechen, aus Angst, verspottet oder aus einer Gruppe ausgeschlossen zu werden. Diese Tendenz bezeichnete der Psychologe Solomon Asch in den 1950er Jahren als »Compliance Bias« (in etwa: Neigung in Richtung eines konformen Urteils oder Verhaltens).“

Glaubwürdige Vorbilder

In ungewöhnlichen Zeiten gibt es jedoch auch immer Menschen, die sich weder von Ängsten beherrschen, noch von Mehrheiten beeindrucken oder hypnotisieren lassen. Das sind oft Persönlichkeiten, die ihre Religion oder ihren spirituellen Glauben nicht an die große Glocke hängen, aber dennoch tief religiös und spirituell sind. Bei ihnen ist genau das spürbar, was bei immer weniger Politikern, VIPs und „Vorbildern“ offensichtlich ist: Sie sind integer und leben ihre Überzeugungen, egal ob das ihnen Vor- oder Nachteile bringt und egal ob dies gerade populär ist oder als verrückt abgestempelt wird. Sie sind mit ihrem Herzen und ihrem Verstand klar verbunden und verbiegen ihre Seele wegen irgendwelchen weltlichen und kurzweiligen Vorteilen nicht.

Wenn wir an Menschen wie Mahatma Gandhi, Sophie Scholl, Nelson Mandela oder Vandana Shiva denken, dann sind das herausragende Charaktere, die von bestimmten Prinzipien wie Gewaltlosigkeit und Wahrhaftigkeit keinen Millimeter abweichen, auch wenn sie damit ihr Leben aufs Spiel setzen. Gerade in Zeiten, in denen das Leben in uns und um uns chaotisch, hoffnungslos und dunkel erscheint, werden sie für uns durch ihre fundierte innere Haltung zu zeitlosen Vorbildern und weit sichtbaren Leuchttürmen.

Die Kraft der Minderheiten

Hier möchte ich zwei Aussagen von Menschen zitieren, die die Lebensbühne verlassen hatten, als ich sie betreten durfte, und die den Mut hatten, sich gegen den Mainstream zu positionieren:
Bertrand Russel (1872 – 1970), der sich als wahrheitsliebender Mensch von der Propaganda aller kriegführenden Nationen abgestoßen fühlte und sich als zivilisationsliebender Mensch über den „Rückfall in die Barbarei“ entsetzte: „Gesellschaftlicher Fortschritt ist nur über Minderheiten möglich, Mehrheiten zementieren das Bestehende.“
Martin Luther King (1929 – 1968), der als einer der herausragendsten Vertreter im gewaltfreien Kampf gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit galt: „Fast immer hat die schöpferisch engagierte Minderheit die Welt verbessert.“

Sechs Grundlagen zur Veränderung

Ich möchte hier auf sechs wesentliche Punkte eingehen, durch deren Umsetzung es möglich ist, dass Minderheiten die Welt verändern können.

1) An die eigenen Ideen glauben

Wenn wir in erster Linie unseren Sinn des Lebens darin sehen, möglichst ungestört im Wellness-Bereich und im Main-Stream mitzuschwimmen, dann sind wir vor allem damit beschäftigt, die Aufmerksamkeit nach außen zu richten: Was sagt das Narrativ der Leitmedien und der Mehrheit, wer ist der Gute und wer ist der Böse, was sind gerade die Trends und was steht im Kreuzfeuer der Kritik.

Sobald wir jedoch unserer eigenen Intuition folgen und unsere individuellen, ver-rückten und eigenartigen Ideen und Visionen ernst nehmen, werden die Meinungen, Ratschläge und Warnungen, die von der Masse kommen, leiser und nebensächlicher. Dann bekommen unsere Seele, unser Herz und unser Geist frischen Wind, klare Aufmerksamkeit und die Kraft sich auszudrücken.

2) Geduld haben

„Be the change you want to see in the world”, war das Motto von Mahatma Gandhi, das er selber gewissenhaft und konsequent vorgelebt hatte. Um einen tiefgreifenden Wandel herbeizuführen, brauchen wir nicht nur gute Ideen, sondern auch die Geduld, diese umzusetzen. Und durch Geduld kann sich bei uns auch eine gewisse Einsicht und Nachsicht einstellen, speziell in Bezug zu unseren eigenen Schwächen und Fehlern, und die unserer Mitmenschen.

Wenn wir erwarten, dass das Leben ohne Widerstände und Schwierigkeiten von statten geht, werden wir regelmäßig und manchmal auch heftig enttäuscht werden. Sehen wir dagegen in jeder Krise den Keim einer einzigartigen Chance und in jedem Problem den Samen einer positiven Lösung, dann werden wir naturgemäß geduldiger mit uns, mit anderen und mit dem Leben sein.

3) Beharrlich bleiben

Mit Begeisterung alleine können großartige Ziele und tiefgreifende Veränderungen nicht erreicht werden. Beharrlichkeit ist notwendig, sollte aber eine gewisse Anpassungsfähigkeit beinhalten, um nicht zu einem fixierten Starrsinn zu verkommen. Um eine Veränderung erfolgreich durchzuführen, sollen wir nicht nur zielorientiert, sondern auch prozessorientiert sein.

„Ausdauer, konsequentes Vorgehen, Beständigkeit sind verlässliche Begleiter des Übens. Das Mittel der Entwicklung ist Übung. Eine Entwicklung geht nicht linear vor sich. Fortschritt, Ruhepause, Rückschritt, sprunghafter Fortschritt nach Zeiten, wo scheinbar nichts vorangeht, gehören zum Bild der Entwicklung.“ (Reinhold Dietrich)

4) Nicht bedrohlich erscheinen

Sind wir voller Angst, werden wir Ängste in die Welt bringen, sind wir voller Wut, werden wir Zorn in der Welt entfachen. Sind wir dagegen voller Liebe, werden wir diese – bewusst und unbewusst – in der Welt verbreiten. Sind wir mit uns im Frieden, werden wir Frieden in die Welt bringen.

Sind wir selbstbewusst und mit uns und der Welt gut verankert, und dann sind wir davon überzeugt, dass uns das Wesentliche von nichts und niemanden genommen werden kann:
„Sapiens omnia sua secum portat.“ – Der Weise trägt all das seine bei sich. (Cicero)
So fühlen wir uns von nichts und niemandem bedroht und sehen keine Notwendigkeit andere zu bedrohen oder zu etwas zu zwingen.

In diesem Raum von Zufriedenheit und Gelassenheit kann Liebe und Mitgefühl sich grenzenlos und bedingungslos ausbreiten. Unser Gegenüber oder „Gegner“ kann sich so zeigen, wie er oder sie wirklich ist, ohne Angst zu haben, abgewertet oder ausgegrenzt zu werden. Dadurch wird ein offener Raum für Dialog und Entfaltung geschaffen.

5) Eine gemeinsame Identität betonen

Wenn wir realisieren, dass es eigentlich unmöglich ist, als Einzelgänger die Welt zum Positiven zu verändern, dann werden wir uns nach Gleichgesinnten umsehen. Und wenn wir von einem Anliegen leidenschaftlich überzeugt sind, dann werden wir zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute finden, um gemeinsam die richtigen Ideen zu kreieren und die richtigen Veränderungen zu entfalten.

6) Mit einer Stimme sprechen

Wenn eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten sich bemerkbar macht und fokussiert ausdrückt, kann das eine Wirkung wie eine Lupe haben, die die Sonnenstrahlen bündelt, um ein Feuer zu entfachen.

Viele der erfolgreichen Bewegungen in der Geschichte der Menschheit und in den letzten Jahrzehnten wurden von ganz besonderen und wunderbaren Persönlichkeiten angeführt. Je authentischer und integer diese Leitfiguren waren, desto eher wurde mit einer eindeutigen, klaren und kräftigen Stimme gesprochen und desto eher konnten erhabene Ziele für das Wohl der Menschheit erreicht werden.

Gefahren

Nur weil eine Minderheit sich – mit Hilfe dieser erwähnten sechs Prinzipien – gegen eine Mehrheit erfolgreich formiert, bedeutet das noch lange nicht, dass die Ziele menschlich und ethisch sind (Beispiel Nationalsozialismus). Es bedeutet auch nicht, dass der Zweck die Mittel heiligt; speziell dann nicht, wenn eine Gruppe Ungerechtigkeiten beseitigen will, aber selber Gewalt als Waffe einsetzt (Beispiel RAF).

Erfolg von gewaltfreien Protesten

„In der grundlegenden Studie „The Success of Nonviolent Civil Resistance“ hat Erica Chenoweth, Politikwissenschaftlerin an der Harvard University, Erhebungen und Proteste zwischen 1900 und 2006 untersucht. Anders als man vielleicht denken könnte, haben nicht die radikalsten und gewalttätigsten Bewegungen Erfolg gehabt. Die erstaunliche Erkenntnis der Forscherin: Gewaltfreie Proteste sind doppelt so erfolgreich wie bewaffnete Konflikte. Wem es gelingt, einen Schwellenwert von 3,5 Prozent der Bevölkerung zu mobilisieren, hat immer auch Veränderungen herbeigeführt.“ („Gewaltfreier Widerstand: Gesetz der 3,5 Prozent“ )

Yogischer Ariadna-Faden

Um die Welt zu verändern gilt für mich nach wie vor das alte zeitlose yogische Prinzip von AHIMSA & SATYA (Gewaltlosigkeit & Wahrhaftigkeit) als Grundlage, Umstände zu bewerten und Entscheidungen zu treffen. Damit wird uns gerade in verwirrenden und verwickelten Zeiten ein bewährter Ariadna-Faden in die Hände gelegt, der zum Wohle der Menschheit und der Umwelt ist. Auch wenn wir nur wenige sind, die sich an diesem Faden orientieren: Es ist eine einzigartige Chance, wenn wir die Welt verändern wollen.