„Nur wo du zu Fuß warst, bist du wirklich gewesen“

Johann Wolfang von Goethe

Hier sind ein paar Aufzeichnungen meiner ersten Wanderung auf einem Pilgersweg:

2. Tag (31.3.24): Aufbruch

Ich bin seit gestern mit meinem Freund Steffen am Franziskusweg von Pontassieve (Nähe Florenz) nach Assisi unterwegs. Wir wandern mal so dahin und schauen ob wir die 260 Kilometer tatsächlich in 2 Wochen schaffen werden ….
Trotz der frommen Route wollen wir es nicht „pilgern“ nennen: Dafür sind wir beide zu sehr Freigeister und schon zu lange aus der Kirche ausgetreten. Allerdings ist Hermann Hesses „Franz von Assisi“ Büchlein mit im reduzierten Gepäck.

5. Tag (3.4.24): Das Besondere der „Via die Francesco“

Als ich letztes Jahr zum ersten Mal von diesem Pilgerweg hörte, war mir klar, dass es mich dorthin wesentlich mehr zieht als zu seinem spanischen Camino-Bruder:
1) Die Einsamkeit: Wir sind 5 Tage und 100 km unterwegs und haben nur eine Handvoll (!!!) Wanderer auf den abgelegenen Wegen getroffen. Die wenigen Dörfer sind z.T. so klein, dass Geschäfte, Restaurants und Unterkünfte die überraschende Ausnahme sind.
2) Die Herausforderung: Die Höhenmeter sind der Hammer: Am 4. Tag waren wir mehr oder weniger gezwungen, 27 km und 1450 Höhenmeter in 10 Gehstunden zurück zu legen. Gestern hatten wir dann den höchsten Punkt der Wanderung von 1240 m überschritten.
3) Die Gastgeber waren bisher sehr freundlich und die Unterkünfte meist clean & cosy !
4) Die Jahreszeit: Die Landschaft in den Bergen erwacht gerade aus dem Winterschlaf und ohne Daunenjacke, Mütze und Handschuhe wäre es mir viel zu kalt. Letzte Nacht hatte es nur 4 Grad.

Kontrovers: Franziskus‘ Empathie gegenüber allen Menschen und Tieren ist legendär. Seine spirituelle Transformation kam ihm übrigens, als er in den Krieg ziehen wollte … und er wäre mit seiner Friedfertigkeit auch heute von all den Kriegstreibern verflucht worden.
Der Apostel Jakobus wurde dagegen bei Schlachten gegen Andersgläubige um Beihilfe angerufen …. und das so erfolgreich, dass er auch „Maurentöter“ genannt wird.

Das wunderbare Wirken von Franziskus in Assisi ist klar belegt. Dass der Apostel Jakobus etwas mit Santiago de Compostela zu tun hatte, ist historisch umstritten … aber da will verständlicher Weise keiner genauer nachforschen.
Heute gehts weiter von Capresa Michelangelo (der Geburtsort des großen Künstlers) und bald haben wir die Hälfte des Weges geschafft:
Step by step, day by day, weather by weather, on a good path.

9. Tag (7.4.24): Auf einem alten Weg mit modernem Komfort

Nach 185 gegangenen Kilometern wandern wir diese meist einsamen Pfade und Straßen doch mit einem großen Respekt: Insbesonders, wenn man bedenkt, dass einige dieser Wege zwischen mittelalterlichen Städten und Klöstern schon seit vielen Jahrhunderten begangen wurden… und nicht erst seitdem „Pilgern“ bei uns en Vogue wurde. So pilgerte unser verstorbene Dorf-Bildhauer Wolfbauern Hans nach dem 2. Weltkrieg vom Mondseeland (sicherlich auch über Assisi) nach Rom: Als Dank, dass er die Wirren und den Wahnsinn des Krieges überlebt hatte.

Auch wenn heute noch die einzelnen Tagesrouten teilweise anstrengend sind: Die modernen Hilfsmittel wie GPS, Googlemap & Booking via Smartphone, sowie ideale und leichte Wanderausrüstung, lassen kaum erahnen, wie früher das Gehen, Planen und Orientieren gewesen sein musste. Und den Komfort einer warmen Dusche und eines beheizten Zweibettzimmers gab es damals auch nicht.

Ich bin auch für den unglaublichen Luxus dankbar, sich schnell und effektiv gegen jene Beschwerden wehren zu können, wenn der Körper die Grenzen dieser ungewöhnlichen Belastung mit gnadenlosen Schmerzen signalisiert. Bei mir war es der 6. Tag mit seinen längsten und mühsamsten 32 Kilometern, der eine Achillessehnen-Entzündung andeutete. Ein notwendiger Ruhetag in der wunderschönen mittelalterlichen Citta di Castello in Umbrien wurde dann mit besten Essen und einem Aperol-Spritz gefeiert (mein erster seit 10 Jahren : ) .

Und die richtigen Bandagen, Salben und Tabletten wirkten (auch ohne Beichte & Buße) wahre Wunder. So konnte ich dann gestern – wider Erwartung- die nächsten 30 Kilometer in 6 Gehstunden „nur“ mit geschwollenen Füßen, aber ohne Schmerzen und bei sommerlichen Temperaturen zurücklegen. Ein Hoch der modernen Medizin, die ich ansonsten eher meide, wie der Teufel das Weihwasser!

12. Tag (10.4.24): Assisi – Der Weg ist das Ziel

Gestern, am 12. Tag unserer Wanderung, war die letzte Etappe von den 260 gegangenen Kilometern doch ungewöhnlich anstrengend… aber so war eigentlich die letzte Stunde eines jeden Tages! Mein Fußproblem hat sich auf wunderbare – aber nicht weniger schmerzhafte – Weise von der linken Achillessehne auf die rechten große Zehe verlagert.

Nach den letzten Tagen des Gehens auf einsamen Pfaden und durch kleine Städte war die Ankunft im touristischen Assisi doch ein gewisser Kulturschock. Mit dem Gefühl, zumindest geographisch am Ziel angekommen zu sein, konnte ich dem ganzen religiösen Treiben und Kitsch mit amüsierter Gleichgültigkeit begegnen.

Eine Führung durch die Basilika vom Franziskaner-Bruder Thomas, zu der wir zufällig dazustießen, brachte uns das Leben und den Geist des Hl. Franziskus näher. Dabei erinnerte mich der tiefe Glaube, die freiwillige Armut und die kompromisslose Friedfertigkeit (pax et bonum) an mein eigenes früheres Mönchs-Leben (…wohin es mich allerdings nicht mehr zieht).

Was nehme ich von dieser Wanderung mit in den Alltag

• Egal wie erhaben oder fern das Ziel ist, ich kann immer nur diesen einen jetzigen Schritt tun und diesen einzigartigen Augenblick erleben.
• Höhen und Tiefen gehören – wie Yin & Yang, Tag & Nacht, Leben & Tod – zusammen.
• Nach jeder intensiven Mühe ist das Entspannen und Loslassen danach eine besondere Belohnung.
• In der Einfachheit werden einfache Erfahrungen zum wahren Luxus.
• Nach 2 Wochen ohne Weltnachrichten, Kriegsgeheule und Katastrophen dreht sich die Welt weiter …. dafür habe ich in dieser Zeit all jenes bewusster wahrgenommen, was in meiner unmittelbaren Umgebung passiert und gemacht wurde.
• Ich werde künftig bewusster darauf achten, im Beruf und Alltag mehr zu entschleunigen und Pflichten, Verantwortungen und Themen abzugeben, die mir nicht mehr stimmig und notwendig erscheinen.

Auch wenn die Erschöpfung noch nachwirkt, haben mein Wanderkumpel Steffen und ich (nach Assisi, Menorca und Mallorca) schon Ideen für unsere nächste Weit-Wanderung im kommenden Jahr … wenn das Schicksal und der Lebensfluss es gut mit uns meinen.

PS: Unseren Rother-Wanderführer inkl. GPS-Tracks kann ich übrigens sehr empfehlen. Durch ihn und durch die regelmäßigen Wegemarkierungen hatten wir „Franz sei Dank“ kaum zusätzliche Kilometer auf Irrwegen gehen müssen.
„Der Franziskusweg – Der kleine Bruder des Jakobswegs“