„In der gegenwärtigen Krise der Männlichkeit brauchen wir nicht weniger maskuline Stärke. Wir brauchen mehr davon. Aber wir brauchen mehr gereifte Männlichkeit. Wir brauchen mehr Mann-Bewusstsein.“
Robert Moore

In unserer Gesellschaft ist reifes Mannsein alles andere als selbstverständlich. Denn um diese Transformation und Entfaltung zu meistern, braucht es ungewöhnlich viel Stärke und Gelassenheit, Mut und Zielstrebigkeit, Liebe und Leidenschaft, Wissensdrang und Lernfähigkeit, Rückzug und Gemeinschaft. Und in Zeiten wie diesen, die von Missständen der Vergangenheit geprägt sind, ist authentisches Leben und Ausdrücken von Männlichkeit eine große Herausforderung.

Das fehlende reife, männliche Potenzial

Die alten Rituale und die einst wichtigen Initiationen sind verschwunden, richtige und wichtige männliche Vorbilder gibt es wenige und jene Strömungen nehmen zu, die natürliches Mann-Sein und positive Männlichkeit verurteilen, bekämpfen oder gar in Frage stellen. Das bedingt u.a. die Zunahme von Konflikten, Depressionen, Gewalt und Perversionen von Männern.

Gerade in Ausnahmezuständen und Krisen-Zeiten, wie wir sie die letzten Jahre mit voller Wucht erlebt haben, zeigen sich Unzulänglichkeiten und Ent-Täuschung. Dabei haben sich u.a. auch das ungelebte Potenzial, die Verwirrung, Naivität und Unreife von Männern deutlich präsentiert. So haben sich nicht wenige Politiker als „Diktatoren“ entpuppt und einige Beamte und Bürger als herzlose Mitwirkende oder gehorsame Mitläufer. Andere einflussreiche Männer im Bereich von Medien haben irrationale Ängste geschürt, andere im Bereich von Wirtschaft und Gesundheit haben diese Massenhysterie genutzt, um sich rücksichtslos zu bereichern.

Wo waren die mutigen und reifen Männer?

Wie viele religiöse, politische oder kulturelle Leitfiguren gab es in diesem Ausnahmezustand, denen tatsächlich das Wohl der Bevölkerung und des einzelnen Menschen am Herzen lag? Wie viele friedvolle Krieger haben tatsächlich für Menschlichkeit und Gerechtigkeit gekämpft? Wo waren die Ehemänner, die sich für die Rechte ihrer Frauen einsetzten, und die Söhne, die sich für die Grundbedürfnisse ihrer Eltern stark machten? Wie viele Väter haben sich gegen die traumatisierenden und krankmachenden Maßnahmen an ihren Kindern gewehrt? Wie viele Gurus, spirituelle Meister und Yogalehrer waren in diesen verrückten Zeiten explizit pro Ahimsa, Maitri, Satya und Advaita (Gewaltlosigkeit, Liebe, Wahrhaftigkeit und Einheit) und contra Angstmache, Abwertung und Ausgrenzung?

Gegenwärtiges Dilemma des richtigen Mannseins

Wenn ich mir die gegenwärtigen heiß diskutierten und umstrittenen Themen anschaue – sei es Krieg, Klima, KI oder Gender – dann wagen auch jetzt nur wenige Männer, sich darüber bedacht, kritisch, offen und ehrlich zu äußern. Zu viele folgen unüberlegt vorgegebenen Narrativen, sei es aus Angst, Druck, Zweifel, Bequemlichkeit oder Egoismus. Sind es vielleicht sogar in erster Linie Männer, die Schatten-Themen unnötig aufblasen und die eigentlichen Probleme der Gegenwart unter den Teppich kehren?

Jeder von uns hat das schon erlebt, was der Psychoanalytiker und Jungianer Robert Moore bereits 1990 beschreibt:
„Wenn wir fühlen, dass wir keinen Kontakt zum vollendeten Magier haben, sind wir verstrickt in den unaufrichtigen und verweigernden, passiven Pol seines Schattens. in diesem Fall werden wir innere Festigkeit, Gelassenheit und nüchterne Klarheit vermissen. Wir werden uns innerlich unsicher fühlen, ohne Vertrauen zu unseren Denkvorgängen. Wir werden uns nicht lösen können von unseren Gefühlen und Problemen. Wahrscheinlich werden wir unser Innenleben als chaotisch erfahren und uns auf Druck von außen in alle Himmelsrichtungen stoßen und ziehen lassen. Anderen Menschen gegenüber werden wir uns passiv-aggressiv verhalten, jede böse Absicht aber ableugnen.“
Dieses und alle anderen Zitate stammen aus dem Buch „König, Krieger, Magier, Liebhaber“: Initiation in das wahre männliche Selbst durch kraftvolle Archetypen“ von Robert Moore und Douglas Gillette (Aurinia Verlag)

Unfertige Mann-Werdung

Vergangene und gegenwärtige Probleme haben u.a. erst dadurch an Dramatik zugenommen, weil wir Männer unser reifes Mann-Sein nicht wirklich erkannt haben und leben. Natürlich passiert diese Unreife nicht erst zufällig im Erwachsenen-Alter. Die Samen davon werden schon in unserer Kindheit und Jugend gesät.

Die entfremdeten Arbeitsbedingungen und die eingeschränkte Art der Kindererziehung haben seit der Industrialisierung die wichtige männliche Prägung reduziert. In den letzten Jahrzehnten ist dazu noch eine manipulierende Medienlandschaft (sei es Hollywood-Filme, Netflix-Serien, Youtube-Stars und Social Media) dazugekommen, die traditionelle Werte von Familie und Ethik aushöhlen. Wie viel Zeit haben einst Buben und Jungen mit ihren Vätern und Männern der Sippe in der Natur verbracht und dadurch prägende Erfahrungen für ihr künftiges Leben machen können. Deswegen sollte es nicht verwundern, wenn junge Männer sich heutzutage orientierungslos, entfremdet, aggressiv und vereinsamt fühlen.

Beispielsweise hatte mein Vater als beschäftigter Landarzt, leidenschaftlicher Jäger und als kulturell sowie politisch aktiver Bürger nur wenig Zeit für mich. Er selber hatte seinen Vater mit vier Jahren im Krieg verloren und mein zweiter Großvater stammt aus einer streng katholischen Adelsfamilie und war für mich absolut unnahbar. Die meisten anderen Männer, die scheinbar für meine Erziehung verantwortlich waren – wie Pfarrer, Lehrer, Erzieher, etc. – empfand ich selten als Vorbilder, für eigenes Potenzial und Visionen.

Der Drang zur männlichen Entfaltung

Dennoch gab es ein paar wenige Männer in meinem Umfeld, die mich inspirierten, meinen persönlichen Weg zu gehen. Ihnen und meiner damaligen Orientierungslosigkeit und Unzufriedenheit verdanke ich, dass ich als 20-Jähriger es gewagt habe, aus den vorgegebenen engen Strukturen auszuzusteigen: Zunächst nach Amerika in ländliche Kommunen und dann nach Asien in Mönchsgemeinschaften. Hatte dieser abenteuerliche Drang in die Fremde zu ziehen vielleicht damit zu tun, dass meine Seele unüberhörbar danach verlangte, meine Persönlichkeit zu einer gewissen Reife zu bringen?

Dort, wo das Pendel im Individuum und in der Menschheits- und Männergeschichte in eine Richtung schlägt, manifestiert sich auch eine Gegenbewegung. Und tatsächlich ist aus meiner Erfahrung der letzten Jahrzehnte zunehmend eine verantwortungsvolle, kraftvolle, liebevolle und kreative Präsenz von Männern spürbar.

Die vier männlichen Archetypen

König, Krieger, Liebhaber und Magier. Im Idealfall sind alle diese vier Charaktereigenschaften so reif und selbstbewusst, dass sie sich ergänzen und gegenseitig bekräftigen. Aber wie wir sehen, sind in unserer Gesellschaft solch ausgeglichene und reife männliche Persönlichkeiten eine Ausnahme.

Bedingt durch unsere traumatisierten Eltern und Vorfahren, durch unsere Verletzungen in der Kindheit und durch unsere unperfekte Umgebung, haben sich in uns Schattenaspekte gebildet; d.h. bestimmte Archetypen haben ihre entsprechenden Qualitäten in uns zu extrem oder zu wenig, zu rajasisch oder zu tamasisch ausgeprägt. Dadurch bringen sie unsere psychische Gesundheit in ein Ungleichgewicht. Wenn einer der vier Archetypen zu sehr dominiert oder schwächelt, dann fühlen wir uns nicht nur als Mann inkomplett, mutlos, einsam oder missverstanden. Unser inneres Leiden hat auch eine entsprechend negative Wirkung auf unsere Umgebung und auf unsere Mitmenschen.

Der König

Die Königs Energie in reifen Männern bewirkt, dass er stark, gelassen, tolerant, großherzig, erreichbar und ansprechbar sind. Wir sind dabei nicht nur wohlwollend streng, sondern können auch andere loben und inspirieren. Der König in uns, der für Verantwortung und Sicherheit steht, ist letztendlich für unsere Lebensentscheidungen verantwortlich und muss auch dafür geradestehen. Er hat die Fähigkeit, Prioritäten zu erkennen und muss die unterschiedlichen Fähigkeiten vom Krieger, Liebhaber und Magier gut miteinander abstimmen. Zusätzlich soll er die Erfahrungen der Vergangenheit und der Gegenwart so integrieren, dass sich daraus eine positive Perspektive für uns selber, für die Gemeinschaft und für die Umwelt entfalten kann.

Die Schattenform davon ist ein Tyrann, der sich überschätzt, andere terrorisiert und entwürdigt. Er verbreitet viel Angst und Leid, weil er selber nicht selbstbewusst und zufrieden ist. Dagegen drückt sich der Schwächling vor seiner Verantwortung und unterschätzt seine autoritäre Rolle und seine machtvolle Kompetenz.

„Wenn es nötig sein sollte, repräsentiert der König in der zentralen Verkörperung als Krieger angriffslustige Macht. Er weiß und differenziert (Magier) und handelt auf der Basis dieser tiefen Weisheit. Er freut sich an uns und an anderen Menschen (Liebhaber) und zeigt die Freude mit aufrichtigem Lob, mit Worten und Taten, die unser Leben bereichern.“

Der Krieger

Die Krieger Energie in einem entwickelten Mann bewirkt, dass er sich für wesentliche Ziele voll einsetzen. Wir bereiten uns dabei gut auf Herausforderungen vor und sind dabei zielbewusst und ausdauernd. Der Krieger in uns, der für Mut, Konzentration, Motivation und Abenteuer steht, ist für die Umsetzung und Verwirklichung von Ideen und Visionen verantwortlich.

Der Schattenaspekt davon ist der Sadist, der brutal, blind, rücksichtslos und herzlos sein Ziel verfolgt, egal ob es Sinn macht oder nicht. Dagegen ist der Masochist unfähig, tollpatschig, inkompetent, gibt schnell auf und sieht sich als Opfer.

„Wenn wir zum Krieger in der rechten Weise Zugang finden, werden wir nicht nur »losgelöst«, sondern auch warmherzig, mitfühlend und verständnisvoll sein und fruchtbringend wirken. Wir werden auf uns selbst und andere achthaben. Unsere Kämpfe werden gute Kämpfe sein für eine bessere und erfüllendere Welt für jedes Lebewesen. Unsere »Kriege« führen wir dann, um Neues, um mehr Gerechtigkeit und Freiheit zu schaffen.“

Der Liebhaber

Die Liebhaber Energie in einem leidenschaftlichen Mann zeigt sich in Begeisterungsfähigkeit, Sinnlichkeit und Liebesfähigkeit. Der Liebhaber in uns steht für Lebensfreude und Einfühlungsvermögen. Er ist ein Genießer, Künstler und Poet und hat die Fähigkeit, all die unterschiedlichen Aspekte von Liebe zu entfalten und zu erleben: Die erotische und intime Liebe genauso, wie die Liebe, die jeden und alles wertfrei und grenzenlos umfasst.

Als Schattenform davon ist der Süchtige, der sich nicht unter Kontrolle hat und völlig im Bann seiner Gefühle und Leidenschaften steht. Seine hedonistischen Tendenzen brauchen kontinuierliche Stimulierungen. Dagegen ist der Lieblose kalt, leblos, freudlos, gelangweilt und uninteressiert.

„Der Liebhaber sorgt dafür, dass die anderen männlichen Archetypen human und gefühlvoll bleiben, verbunden miteinander und mit der Alltagswirklichkeit von Menschen, die sich in einer schwierigen Welt abmühen.“

Magier

Die Magier Energie in einem interessierten Mann befeuert in den Wissensdurst und die Lernfähigkeit. Dabei verschaffen wir uns Hintergrundinformationen und stimmige Alternativen, suchen Zugang zu unseren inneren Kräften und Weisheiten.

Der Magier in uns steht für Weisheit und Lehre. Er ist auch der Einsiedler und Alchemist, der fähig ist, die Grenzen seines Bewusstseins auszudehnen und neue Aspekte des Lebens zu entdecken. Er hat die Fähigkeit, Wissen in Weisheit, Krisen in Chancen und Spiritualität in den Alltag zu transformieren.

Der Schattenaspekt davon ist der Manipulant, der sein Wissen dazu missbraucht, andere für seine Vorteile zu manipulieren. Er spielt nicht mit offenen Karten, intrigiert und ist unberechenbar. Dagegen will der Ahnungslose nichts wissen, ist naiv, hinterfragt nichts und kann so leicht getäuscht und gelenkt werden.

„Der Magier muss sich zusammentun mit der Sorge des Königs um Fruchtbarkeit und Großzügigkeit, mit der Entschlossenheit und Courage des Kriegers und mit der tiefen und selbstsicheren Verbundenheit des Liebhabers mit allen Dingen. Gelingt die Verschmelzung, dann können wir unser Wissen, das Bezähmen und Kanalisieren von Energieströmen, unseren Mitmenschen dienstbar machen und womöglich gar zur Bereicherung der ganzen Welt beitragen.“

Bewusstwerdung der vier Archetypen

Nimm dir Zeit und überlege (oder schreib auf), wie reif und kompetent deine vier Archetypen in der Gegenwart gerade sind.

  • Wer von ihnen bestimmt gerade, wo deine Lebensreise hingeht?
  • Wer hält sich gerade eher im Hintergrund und spielt seine Qualitäten nicht aus?
  • Welche Schattenaspekte bringen dich immer wieder in leidvolle und schwierige Situationen?
  • Was kannst du tun, damit dein innerer König, Krieger, Liebhaber und Magier an Reife, Selbstbewusstsein und Kompetenz zunimmt?
  • Wie ist es möglich, dass die Machtstellung von deinen Aspekten des Tyrannen, des Sadisten, des Süchtigen und des Manipulanten reduziert wird?
  • Welche Strategien kannst du entwickeln, damit der Schwächling, der Masochist, der Lieblose und der Ahnungslose weder deinen Lebenssinn vernebeln noch deine Visionen zerstören?
  • Willst du dich einer Gruppe von gleichgesinnten Männern anschließen, die an der Reifung ihres Mannseins ebenfalls interessiert sind (oder eine solche Gruppe gründen)?

Zum Weiterlesen

König, Krieger, Magier, Liebhaber“ (Robert Moore)
Der Weg des wahren Mannes“ (David Deida)
https://maennerdesathos.wordpress.com
www.maennlichkeit-staerken.de
www.mannsein.at/maennergruppen/home