Donnerstag, 11 April 2019 15:40

Richtige Wahl der spirituellen Lehre

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Kerze Sonnenaufgang Bali„In der berühmten Kâlâma-Sutta erinnert uns der Buddha daran, dass wir letztendlich nur unserer eigenen Erfahrung von Realität vertrauen sollen; und nicht was von anderen gesagt wird.“ Thanissaro Bhikkhu

Kritisch buddhistische Gedanken über Lehrer*innen

In den letzten Jahren sind Missbrauchsvorwürfe gegenüber Lehrern, Meistern, Mönchen, Priestern und anderen spirituellen Gestalten in (fast) allen religiösen und spirituellen Kreisen zunehmend an die Öffentlichkeit geraten. Dieser beunruhigende Anstieg hat sicherlich mit der modernen Medienwelt zu tun und deren lauffeuerartigen Verbreitung von Fakten und Fakenews. Gesagtes und Gesehenes - egal wie verschleiert, brutal und unakzeptabel - kann sich innerhalb weniger Klicks über den ganzen Planeten verbreiten.

Es braucht also nicht viel, um Idole vom Sockel zu stoßen, Schwätzer zu entlarven und Täter zu Opfern zu machen … und Opfer können genauso schnell zu Tätern werden. Mit dieser unberechenbaren Informationsgeschwindigkeit scheint sich auch das karmische Rad schneller zu drehen. Der von Bob Marley 1973 verfasste Songtext deutete schon damals auf diese Trendwende hin: „You can fool some people sometimes, but you can't fool all the people all the time. Get up, stand up! Stand up for your rights!”

Schon zur Zeit des historischen Buddha Siddhartha Gautama gab es Menschen, die die Aussagen von Lehrern kritisch hinterfragten. So kamen die Kâlâmer aus Kesaputta mit folgenden Bedenken zu ihm: "Es kommen da einige Asketen und Brahmanen, die lassen bloß ihren eigenen Glauben leuchten und glänzen, aber den Glauben anderer beschimpfen, schmähen, verachten und verwerfen sie. Andere kommen und stellen ebenfalls ähnliche Behauptungen auf. Deswegen sind wir im Zweifel, wer wohl Wahres, und wer Falsches lehrt." (Anguttara Nikâya III. 66)

Wem sind nicht schon ähnliche Zweifel gekommen, wenn er oder sie unterschiedlichen Yoga- und Meditationslehrern aus verschiedenen Traditionen und Kulturen zugehört hat … speziell wenn es sich dabei um alte Hasen, erfahrene Profis oder fanatische Anhänger handelt? Selbst wenn Vertrauen und Hingabe (Saddha) im Buddhismus und in anderen Religionen als wichtige Voraussetzung für spirituellen Fortschritt gelten, empfiehlt der Buddha hier, dass kritisches Hinterfragen ebenfalls wichtig sei: „Geht nicht nach gehörten Aussagen, nicht nach Tradition, nicht nach allgemeiner Meinung, nicht nach überlieferten Schriften, nicht nach logischen Rückschlüssen, nicht nach überlegten Philosophien, nicht nach Wahrscheinlichkeiten und nicht nach der Autorität eures Meisters.“

Einst galt es als unzweifelhafte Tatsache, dass Gott die scheibenartige Erde mit all seinen Lebewesen und dem Mensch als Krönung in sieben Tagen erschaffen hat. Nur weil autoritäre Gelehrte und charismatische Meister bestimmte Behauptungen aufstellen, müssen diese noch lange nicht wahr sein. Wie viele zweifelhafte Aussagen hören wir auch heute in den Nachrichten, Kirchen, beim Yoga und Meditieren - ohne sie zu hinterfragen? Werden falsche Behauptungen wahrer, wenn mehr Mitbürger, Gläubige oder Yogis daran glauben? Dieses menschliche Phänomen kann man auch ‚Massenhypnose‘ oder ‚Intersubjektivität‘ nennen.

Was ist der Unterschied zwischen Fakenews und Religion? Das eine glauben einige Tausend für ein paar Monate, das andere glauben Millionen für ein paar tausend Jahre. Wie alt muss ein Statement sein, damit es auf uns glaubwürdig wirkt? Nicht selten werden auch im Yoga und Buddhismus zweifelhafte Ansichten und Praktiken mit dem Zauberwort ‚Parampara' gerechtfertigt. Tradition ist bis heute eines der wichtigsten religiösen Totschlag-Argumente. Denn wie könnte etwas, das vor Jahrhunderten in heiligen Schriften niedergeschrieben und seitdem praktiziert wird, nicht der Wahrheit entsprechen? Aus diesem Grund werden bis zum heutigen Tag der katholische Priesterberuf und die buddhistischen Orden von Männern dominiert. Und nicht viel anders sah es in der Yogaszene aus, bevor sie Anfang des 20. Jahrhunderts im Westen populär wurde. (Mehr darüber in den sehr aufschlussreichen Artikel von Claudia Guggenbühl „Frau und Yoga“)

Nach dem kritischen In-Frage-Stellen gibt der Buddha den Kâlâmern einen Ratschlag, der für jeden spirituell Suchenden - damals wie heute - relevant ist: „Wenn ihr für euch selbst wisst: 'Diese Aussagen und Qualitäten (dhamma) sind unheilsam (akusala), tadelnswert, werden von den Weisen kritisiert, und wenn angenommen und umgesetzt, führen zu Unheil und Leid (dukkha)' - dann solltet Ihr diese aufgeben."

Alles was aus Gier (lobha), Hass (dosa), Unwissenheit und Verblendung (moha) gedacht, gesagt und gemacht wird, bedingt unethische Handlungen und leidhafte Konsequenzen. Man tötet, stiehlt, begeht sexuellen Missbrauch, lügt und drängt andere dazu, sich ebenso zu verhalten. Da dies bei einem selber und bei anderen zu Unheil und Leiden führt, sollte man Abstand von Lehrern und Lehren nehmen, die solche Einstellung gut heißen.

Diesbezüglich schreibt Arthur Osborne, ein Schüler von Sri Ramana Maharshi, in den 60er Jahren: „Sich einem Guru hinzugeben, der die Laster von Scheinheiligkeit, Arroganz oder andere Manifestationen des Egos noch in sich trägt, ist so dumm, wie eine Frau, die einen Mann heiratet, der Tuberkulose hat. Die Chance dabei infiziert zu werden, ist sehr hoch.“

Manche enttäuschende Erkenntnisse reifen erst mit der Zeit. So brauchte ich zweieinhalb Jahre lang, bis ich als junger, naiver, buddhistischer Mönch irgendwann realisierte, dass mein idealisierter Meister in Thailand doch nicht so erleuchtet war, wie er sich präsentierte und wie alle um ihn herum glaubten. Auch wenn das im Osten bis heute gepflegte Meister-Schüler-Verhältnis im Westen meist wenig Bedeutung hat, ist unreflektierter Gehorsam bei uns nichts Unbekanntes. Viele Verletzungen im Yoga passieren nur deswegen, weil den Anweisungen eines Lehrers mit zu wenig Erfahrung oder zu viel Ehrgeiz gefolgt werden. Außerdem sollte die Gefahr nicht unterschätzt werden, dass man durch extreme Pranayama- und Meditationstechniken, irreführenden Philosophien und falschen Heilsversprechen psychische Schäden davontragen kann.

Am Ende seiner Unterweisung kommt der Buddha zu folgendem Umkehrschluss: „Wenn ihr für euch selbst wisst: 'Diese Aussagen und Qualitäten sind heilsam (kusala), lobenswert, werden von den Weisen empfohlen, und wenn angenommen und umgesetzt, führen zu Heil und Glück (sukha)' - dann solltet Ihr diese entfalten und darin verweilen."

Da wir leider nicht immer auf die eigenen Qualitäten von Güte und Weisheit zurückgreifen können, kann folgende Fragestellung hilfreich sein: „Wie hätte ein weiser, mitfühlender Meister wie Jesus, Buddha oder Krishna in dieser Situation reagiert, oder was hätte er mir empfohlen?“

Wenn wir uns diese Fragen und Gedanken immer wieder zu Herzen nehmen und reflektieren, werden wir keinen abwegigen Lehren und Traditionen mehr nachlaufen, egal ob diese Heilsversprechen, Crazy Wisdom, Glück oder Erleuchtung versprechen.

Foto: Sonnenaufgang in einer balinesischen Yoga-Shala.

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