„The biggest adventure you can take is to live the life of your dreams.“
Oprah Winfrey
Vorwort aus der Wüste
Diese Zeilen schreibe ich aus Marokko, wo meine Frau und ich seit Wochen mit unserem Camper unterwegs sind.
Vor ein paar Tagen hatten wir unser 4-rädiges Tinyhouse am wüstenartigen Ende der Zivilisation abgestellt, denn von hier aus kann man nur noch mit Geländewägen und Dromedaren weiterkommen. In dieser Gegend steht jetzt noch ein Schild für jene Karawanen, die einst die ungewisse Durchquerung der Sahara in Richtung Süden wagten: „52 days to Tombouctou“. Wir ließen uns allerdings nur 52 Kilometer mit einem 4X4 bis zum Erg Chegaga, der größten Sandwüste Marokkos, fahren; dort sattelten wir auf die seit Tausenden Jahren bewährten 4-beinigen Wüstenschiffe um, und bestiegen dann bei Sonnenuntergang die höchste Düne. Dieser ungewöhnliche Klang der Stille und diese transformierende Erfahrung werden wir wesentlich länger in unserem Herzen tragen, als der feine Sand, der sich in allen nur möglichen Stellen unseres Körpers und Gefährts eingenistet hat.
Erst nach einem so unvergesslichen Erlebnis in einer der unwirtlichsten Gegenden unseres Planeten kann ich erahnen, was Antoine Saint-Exupery – der vor 100 Jahren einige Zeit in Marokko lebte – veranlasst hat, seine eindrücklichen Erfahrungen und zeitlosen Weisheiten niederzuschreiben: „Man kann es kaum begreifen und weiß nicht recht, wieso der Wanderer Mensch die Gärten, die ihm die Natur bereitet hat, mit solcher Unbefangenheit bewohnt. Sie sind ja nur für so kurze Zeit bewohnbar, für ein Zeitalter der Erdgeschichte, für einen glücklichen Tag.“
Spontanität, Dankbarkeit & Charakterbildung beim Reisen
Beim ersten Frost letzten Jahres haben wir unsere Heimat zurückgelassen, um – wie schon die letzten Jahre – den Winter auf Ibiza zu verbringen. Nach vier Monaten ging es dann allerdings nicht mit den Zugvögeln wieder gegen Norden zurück nach Hause. Wir richteten unser Lenkrad nach Portugal und Südspanien. Dort entschlossen wir spontan den Kontinent zu wechseln und nach Afrika überzusetzen, wo wir nun seit Wochen mit unserem Campervan ungewöhnliche Gegenden und eine exotische Kultur bereisen. Und dabei wird mir wieder vor Augen geführt: Es gibt (fast) nichts, was es nicht gibt … und das beflügelt sowohl meine Demut als auch meine Neugier.
Aus irgendeinem wunderbaren Grund hat uns das Leben gerade mit dieser Auszeit und ungewöhnlichen Art des Reisens beschenkt … und wir nutzen sie bewusst und voller Dankbarkeit. Dabei tauche ich tiefer in essenzielle Lebenserfahrungen und transformierende Erkenntnisse ein, als bei so manchem geführten spirituellen Retreat in sicherer und gewohnter Umgebung. Da ich das Gefühl von Heimweh nicht kenne, scheint das Unterwegssein ein Teil meines Wesens zu sein, der meinen Charakter nach wie vor prägt.
Wandermönch und Lebensblume in der Fremde
Meine größte und längste Reise unternahm ich, um buddhistischer Mönch in Asien zu werden. Doch nach einem Dutzend asketischer Jahre übernahm wieder mein natürliches Menschsein und meine dabei vernachlässigte Lebensfreude die Zügel. Ich tauschte wiederum Kleidung und Namen und widmete mich seitdem bewusster der Bedeutung von „Florian“: Einer, der das Leben zum Blühen bringt (… und einer, den das Leben zum Blühen bringt ; )
Und tatsächlich präsentierte sich in dieser Lebensphase jene Frau, die auch noch nach zwei Jahrzehnten meine wichtigste Lebens- und Reisebegleiterin ist. Dieses Sich-Annähern und Gegenseitige-Finden in der Fremde hatten eine ganz besonders transformierende und bindende Wirkung.
Ein-Zimmer-Leben
Egal ob wir einst in Sri Lanka, in Indien oder in anderen Ländern Asiens lebten und unterwegs waren oder in den letzten Jahren auf Ibiza überwinterten: Jahrelang teilten wir dabei ein Zimmer als gemeinsamen Schlaf-, Wohn- und Arbeitsraum. Zugegeben: Dies ist meist in wohltemperierten Regionen der Fall gewesen, die dazu einluden, den Garten und die Umgebung als ausgedehntes Wohnzimmer zu nutzen; ganz im Sinne von unserem Reise-Motto: „Everywhere is my home and the world is my garden.“
Ein eigenes Wohnreich
Als ich einst als Mönch unterschiedliche Höhlen und Waldhütten bewohnte, hatte ich als spiritueller Wanderer keinerlei belastende Verpflichtungen. Fühlte sich eine Unterkunft nicht mehr stimmig an, zog ich mit meinen wenigen Habseligkeiten einfach weiter. Diese wunderbare Erfahrung prägte meine Entscheidung, als ich mit Vierzig in meine erste Wohnung zog. Dabei war mir nicht nur die Lage wichtig, sondern auch die stimmige Größe: Denn je größer eine Behausung, umso mehr wird man sie mit allen möglichen unnötigen Dingen und Staubfängern anfüllen. Nun bereichert unser fester Wohnsitz unser Leben wie eine Oase nach den ausgedehnten Reisen. Allerdings wurden wir durch diese Immobilie nicht immobiler, denn wir sind nach wie vor als Halbnomaden und Winterflüchtlinge in anderen Regionen und Klimazonen unterwegs und davon überzeugt: „Reisen ist einer der besten Investition in sich selbst.“
Camper-Lifestyle
Corona hatte mir durch die Möglichkeit des Online-Unterrichts nicht nur mehr berufliche Flexibilität geschenkt; es hatte uns beide Freigeister auch dazu gebracht, nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, wie man am besten all die sinnbefreiten Einschränkungen umgehen kann. Dabei entdeckten wir 2021 den Camper-Lifestyle und kamen auf einen neuen Geschmack von Freiheit, den wir bisher – trotz unserer ausgedehnten Reisen – nicht kannten.
Kompakte Grundbedürfnisse
In den letzten vier Jahrzehnten, in denen ich viel Zeit auf fünf Kontinenten verbracht habe, ist mir bewusster geworden: Egal wann, wo und unter welchen Umständen ich lebe, die Grundbedürfnisse von Wohnraum, Kleidung und Nahrung müssen für ein zufriedenstellendes Leben stimmig abgedeckt sein. Gerade wenn man mit dem Camper länger (und damit zeitloser) unterwegs ist, intensivieren und kristallisieren sich diese Aspekte noch deutlicher heraus. Sie werden sogar zu einem wahren Spiegel, der mir ungeschminkt zeigt, wo ich gerade mit mir und im Leben stehe.
Camper-Ausstattung und Reise-Ansprüche
Die Aussage „Zeige mir deinen Camper und ich sage dir, wer du bist!“ hat sicherlich seine Berechtigung. Da meine Frau auf engstem Raum auf schönes, natürliches und praktisches Design großen Wert legt, aber ich nur zwei linke Hände und weder technisches noch handwerkliches Know-How in die Ehe mitgebracht habe, blieb mir nichts anderes übrig, als einen professionellen Camper-Ausbauer zu beauftragen. Und so folgte ich dem Motto: „Money can’t buy happiness, but it can buy a camper, which is kind of the same thing.“
Letztendlich wird aber erst beim längeren Reise – das die naturgemäß nicht immer nur unter Idealbedingungen und bei Schönwetter stattfindet – vor Augen geführt, ob sich mein rollendes Zuhause innen und außen tatsächlich bewährt und ob ich flexibel genug bin, in einer sich ständig ändernden Umgebung zurecht zu kommen; denn Flexibilität bedeutet Stabilität … und diese Regel gilt auch für den Alltag. Und wenn man mit einer professionellen Köchin unterwegs ist, dann sind natürlich die Küchenausstattung und die Lebensmittel von größter Bedeutung. Die Kunst der mobilen Selbstversorgung unterstreicht das erbauliche Gefühl der Unabhängigkeit.
Freiwilliger Minimalismus
Da in einem Camper Stauraum naturgemäß begrenzt ist, muss man sich bei jedem Kleidungsstück und bei jedem Gegenstand gut überlegen, ob man etwas wirklich braucht und wie man es verstaut. Diese alltagsbezogene Achtsamkeits-Übung und dieser freiwillige Minimalismus erinnern mich stark an meine asketischen Jahre in Asien. Dabei wird mir nicht nur die Philosophie von „Small is Beautiful“ (E.F. Schumacher) und „Haben oder Sein“ (Erich Fromm) vor Augen geführt, sondern auch die Tatsache: Wie sehr ich zu Hause mein Leben mit materiellen Dingen unnötige beschwere; auf Kosten meiner natürlichen Lebensfreude und Leichtigkeit.
Die Kehrseite der Medaille
Alles Kommen beinhaltet ein Gehen, alles Wachstum beinhaltet ein Schwinden, alles Leben beinhaltet ein Sterben … und genau diese zweite Seite der Medaille vergessen und verdrängen wir in unserer zielorientierten, kontrollierten, modernen Lebensweise. Beim Campen muss ich mich unweigerlich mit allen notwendwendigen Ressourcen beschäftigen, denn: Strom steht nicht endlos zur Verfügung, auch wenn man mit Ladebooster und PV unterwegs ist. Sowohl der Frischwasser- als auch der Abwasser-Tank haben nur eine begrenzte Kapazität, die bedacht, befüllt und entleert werden muss. Und eine Trenntoilette ist kein modernes WC, bei dem auf Knopfdruck all das einfach weggespült wird, was mein Körper ausscheidet. Die bewusste Entsorgung erdet und verbindet gleichzeitig mit dem natürlichen Kreislauf des Lebens.
Die endgültige Reise
Es ist sicherlich kein Zufall, dass in allen großen Religionen die Gläubigen dazu ermutigt werden, Pilgerreisen zu unternehmen. Denn erst wenn wir die scheinbar sicheren eigenen vier Wände und unsere festgefahrenen häuslichen Gewohnheiten zurücklassen, wird uns klar, dass nichts im Leben selbstverständlich ist; und dass wir auf unserer endgültigen Reise nichts Liebgewonnenes mitnehmen können. Und was danach kommt: Darüber streiten sich die Religionen und die Geister. Hat man jedoch schon zu Lebzeiten gelernt, mit den täglichen Unsicherheiten umzugehen und dass kein Reiseziel sich so zeigt, wie man es sich vorgestellt hat, dann fällt es einem leichter, unseren blinden Glauben und unsere beschränkten Vorstellungen aufzugeben. Dafür lebe und erlebe ich bewusster jeden einzelnen Tag, der mir gerade geschenkt wird.
Spirituelle Praxis auf Reisen
Wann immer es sich einrichten lässt, genieße ich beim Reisen meditative Zeiten und yogische Übungen. Aber auch auf solche spirituellen Gewohnheiten kann ich mich nicht versteifen. Und nach all den vielen Jahren und Stunden auf Meditations-Kissen und Yoga-Matten ist – zum Glück – ein zufriedener Tag nicht mehr von bestimmten Meditationen und Körperübungen abhängig. Dafür werden beim Reisen Gegenwart und Leben zu einer natürlichen Praxis. Alltag und Spiritualität fließen ineinander über. Dabei präsentieren sich manchmal ganz spontan unbeschreibliche Wahrheiten, die letztendlich hinter allen Formen von Yoga und spirituellen Glaubenssätzen stehen und die dennoch nie ganz mit unserem Verstand erfasst werden können. Denn „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ sagte der Fuchs zum kleinen Prinzen.