„Und alles kommt und geht und atmet Leben.
In all dem Atmen schwingt ein Segen,
Der uns vielleicht auch in die Welt der Stille trägt;
Wo alles ruht, gesammelt, gelöst von Zeit und Raum.
Und ohne Warten ruht,
Bis wieder Leben kommt und geht.
Und alles kommt und geht und atmet Leben.“
(Verfasser unbekannt)
Ähnlich wie beim Yoga können auch in der Meditation – und durch sie – unterschiedlichste Ebenen adressiert und berührt werden. Oft sind wir uns aber dessen nicht bewusst, da wir vielleicht nur auf eine Methode fixiert sind oder nur wenige Zugänge kennen. Je offener und interessierter wir jedoch sind, in dieses transformierende, spirituelle Feld einzutauchen, umso eher können wir uns von begrenzten und einengenden Vorstellungen lösen. Dann werden sich uns neue Möglichkeiten, Aspekte und Erkenntnisse erschließen und wir werden vielleicht sogar dabei erahnen, wie vielfältig, grenzenlos und zeitlos Meditation letztendlich ist.
Seit fast vier Jahrzehnten ist Meditation ein wesentlicher Teil meines Lebens und diese bereichernde Erfahrung zeigt mir zweierlei:
1) Der Weg ist das Ziel.
2) Je mehr ich versuche Meditation mit dem limitierten Verstand zu begreifen, desto mehr entferne ich mich von der eigentlichen meditativen Erfahrung.
Dennoch kann es manchmal sehr hilfreich sein, sich von Zeit zu Zeit eine gewisse theoretische Übersicht zu verschaffen. Denn ein Blick auf eine Landkarte kann von großem Nutzen sein, um sich nicht im unwegsamen Gelände zu verirren oder in einer ausweglosen Sackgasse zu enden. Vielleicht werden mich neue Konzepte auf ganz unerwartete und interessante Aspekte hinweisen, die mir sonst in meiner gewohnten Meditationsblase verborgen geblieben wären.
Alltag und Leben
Wenn sich Meditation nicht früher oder später positiv und heilsam auf mein alltägliches Leben, meine Umwelt und meine Mitmenschen auswirkt, dann hat sie eines der wesentlichsten Ziele verfehlt und wird mir vielleicht nur als Fluchtstrategie oder Beruhigungspille nutzen.
Wenn man einmal gefragt wird, wie weit man eigentlich schon am Meditations-Weg ist, wäre folgende Antwort stimmig: „Frage nicht mich, sondern frage meinen Partner, meine Kinder, meine Freunde, meine Verwandtschaft, meine Nachbarn, meine Mitarbeiter oder meinen Hund!“
Grundsätzlich sollte es bei der Meditation darum gehen, dass ich mit mehr Gewaltlosigkeit (Ahimsa), Freundlichkeit (Maitri), Achtsamkeit (Sati) und Wahrhaftigkeit (Satya) durch das Leben wandle und tanze. Dabei sollte meine formale Meditations-Praxis, egal welcher Art und aus welcher Tradition auch immer, mein Trainingsfeld und Spielplatz für meinen Alltag und für das Leben sein.
Die Art und Weise, wie ich gegenüber Menschen und Situationen agiere und reagiere, wird mir– manchmal auch schmerzhaft – vor Augen geführt, wie ich mit mir selber und all meinen Wesensanteilen umgehe.
„Der erste Friede, der Wichtigste, ist der, welcher in die Seelen der Menschen einzieht, wenn sie ihre Verwandtschaft und ihre Harmonie mit dem Universum einsehen. Wenn sie wissen, dass im Mittelpunkt der Welt das große Geheimnis wohnt und dass diese Mitte wirklich überall ist. Sie ist in jedem von uns. Dies ist der wirkliche Friede, alle anderen sind lediglich Spiegelungen davon.“
Nicholas Black Elk (1863-1950), Medizinmann der Oglala-Lakota-Indianer.
Körper und Lebensenergie
Meine stärkste Identifikation, die ich als Mensch habe, ist normalerweise mein Körper. Tagtäglich, vom Moment des Aufwachens bis zum Einschlafen, nehme ich ihn über meine Sinne wahr, wie auch all die Körper meiner zahlreichen Mitmenschen. Eine ganzheitliche Perspektive wird mir jedoch erst dann offeriert, wenn ich wirklich erlebe, wie das aus den vier Elementen geformte Feststoffliche mit der feinstofflichen Lebensenergie untrennbar im Zusammenhang steht: Wie meine äußere Haltung unmittelbar meine innere Haltung beeinflusst und wie auch umgekehrt meine psychische Haltung mit meiner physischen im Zusammenhang steht.
Deswegen ist beim Meditieren eine bewusste Körperhaltung eine wesentliche Grundlage, um eine stimmige meditative Ausrichtung zu bewirken.
„sthira-sukham-āsanam“ Yoga-Sutra, II, 46
Die Sitzhaltung sollte nach Patanjali deswegen stabil und angenehm sein, da es kaum möglich sein wird, einen meditativen Zustand zu entfalten, wenn mein Körper sich unwohl fühlt oder unruhig herumruckt. Außerdem wird sich meine Achtsamkeit schnell verabschieden, wenn man sich zu sehr der Schwerkraft und der Trägheit übergibt.
So wie ich in der Natur erst dann ungewöhnlichste und wunderbarste Beobachtungen machen kann, wenn ich innehalte und aufmerksam lausche, so kann ich auch erst mit einer stillen Körperhaltung feinere Erfahrungen machen. Erst die Ruhe offenbart mir, wie viel Lebendigkeit in diesem Organismus herrscht, wie der Atem fließend kommt und geht, wie der Herzschlag unaufhörlich pocht und wie die Lebensenergie jede einzelne Zelle durchflutet.
In dieser beobachtenden Stimmung werde ich nicht nur stimmige Harmonie und wohltuende Empfindungen erleben, sondern auch so manchen Schmerz und die eine oder andere Unausgeglichenheit. Manche Verspannungen lösen sich vielleicht überraschend auf, wenn ich sie bewusst wahrnehme; andere muss ich vielleicht mit viel Liebe und Geduld lernen anzunehmen. Wenn mir diese behutsame Achtsamkeit mit dem eigenen Körper gelingt, dann stehen die Chancen gut, dass ich auch im Leben mit unliebsamen Begegnungen freundlicher und geduldiger umgehe.
Dazu schreibt Aadil Palkhivala in seinem Buch „Fire of Love: For Teachers of Yoga and Students of Life“:
“Sei dir immer bewusst, dass der Körper nur ein temporäres Phänomen ist, ein Leihobjekt der Natur. Der Grund für die Yogapraxis besteht darin, jenes zu umfassen, was permanent ist – das höhere Selbst oder Atman. Wenn wir uns gewaltsam mit oder gewaltsam gegenüber dem Körper verhalten, dann rebelliert das Herz. Sind wir dagegen feinfühlig, laden wir dessen Sensibilität ein. Mach daher deine Praxis zu einem Ausdruck des Göttlichen in dir, und beobachte alles was du machst in einer distanzierten Weisen und mit einem inneren Lächeln.“
Geist und Psyche
Ich kann erst dann in die feineren Geisteswelten eintauchen, wenn ich mich im Außen und im Körper sicher und aufgehoben weiß. Dann werde ich es wagen, die Augen zu schließen, um die bekannte sinnliche Realität um mich herum hinter mir zu lassen. Es kann sein, dass mir erst dann wirklich – und manchmal auch unbarmherzig – vor Augen geführt wird, was für eine Stimmung in mir herrscht und was gerade in mir am Wirken ist.
Deswegen heißt es im Yoga-Sutra, in dessen Versen es in erster Linie um die meditative Entfaltung geht:
„Sinneszügelung (pratyāhāra) bedeutet, die Sinne von äußerlichen Objekten zum Eigenwesen des Geistes (cittasya) zu richten.“ Vers II, 56
Bei dieser introvertierten Betrachtungsweise werde ich mit der Welt der Gunas konfrontiert: Also mit jenen mentalen Qualitäten, die mir zeigen, wo ich gerade psychisch stehe, wenn alle weltlichen Ablenkungen, äußerlichen Fassaden und gewohnten Masken aufgegeben werden.
Wenn Tamas mich in der Meditation besucht und ich Müdigkeit, Erschöpfung oder Trägheit erlebe, dann ist es hilfreich nachzuspüren: Ist diese Erschöpfung temporär und natürlich? Oder hat dieser Zustand etwas mit einer chronischen „Lebens-Müdigkeit“ zu tun, weil ich es verabsäume, mein Dharma zu leben oder ich meinen Lebenssinn noch gar nicht gefunden habe?
Wenn Rajas in meiner Meditation unermüdlich am Werken ist und ich mich in Unruhe, in Angst Stress oder Unzufriedenheit verliere, dann macht es Sinn mich selber zu fragen: Steht im Leben vielleicht gerade etwas Wichtiges an und diese Stimmung weist mich auf die Dringlichkeit hin? Oder zeigt sich hier ein unbewusstes Gewohnheitsmuster, das durch unerfüllte Bedürfnisse getriggert wird und welches ich gar nicht mehr kontrollieren und verändern kann? Bin ich vielleicht gar nicht mehr Herr über meine Gedanken, sondern bin ich mittlerweile Sklave meines eigenen Geistes geworden? Dann ist es an der Zeit, nicht mehr alles zu glauben, was ich denke und den Mut zu haben, nach den Ursachen meiner Getriebenheit zu forschen und Ent-Täuschungen aufzudecken.
Wenn sich zufällig Sattva als erwünschter Meditations-Partner zu mir gesellt, dann bin ich in solchen besonderen Momenten gesegnet: mit Wachheit und Offenheit, mit Gelassenheit und Leichtigkeit, mit Freude und Freundlichkeit, mit Vergebung und Dankbarkeit, mit Weisheit und Erkenntnis. Dann kann ich Lebensenergie und Kraft für den Alltag tanken, dann kann Heilung und Entfaltung passieren, dann kann ich neue Perspektiven einnehmen und alte Themen loslassen. Und ich kann authentisch spüren, wo ich gerade im Leben stehe und welchen Wegen ich bewusst folgen will.
„Das Wichtigste, was wir im Leben lernen können ist, das eigene Wesen zu finden und ihm treu zu bleiben. Allein darauf kommt es an, und nur auf diese Weise dienen wir Gott ganz: dass wir begreifen, wer wir selber sind, und den Mut gewinnen, uns selber zu leben. Denn es gibt Melodien, es gibt Worte, es gibt Bilder, es gibt Gesänge, die nur in uns, in unserer Seele schlummern. Und es ist die zentrale Aufgabe unseres Lebens, sie auszusagen und auszusingen. Einzig zu diesem Zweck sind wir gemacht. Und keine Aufgabe ist wichtiger, als herauszufinden, welch ein Reichtum in uns liegt.“
Eugen Drewermann
Das Absolute und Göttliche
Neben all den Vorteilen, die Meditation für mein Leben, für meinen Körper und für meine Psyche bietet, liegt die größte Besonderheit sicherlich darin: Sie bietet mir eine einzigartige Möglichkeit, die Begrenztheit und die Endlichkeit meines Menschseins zu durchschauen. Dabei können mir ungewöhnliche Meditations-Methoden die einzigartige Chance bieten, meine leidenschaftlichen und leidvollen Identifikationen zu lösen, um zu erkennen, dass ich mehr bin, als mir von Geburt an suggeriert wurde und als ich mir bisher eingebildet habe.
Daher heisst es im Yoga-Sutra am Anfang:
„yogaś-citta-vṛtti-nirodhaḥ. tadā draṣṭuḥ svarūpe-‚vasthānam.“ I, 2 + 3
„Yoga ist jener Geistes-Zustand, in dem die Bewegungen des Geistes zur Ruhe kommen. Dann ruht das wahre Selbst in der Erkenntnis seiner eigenen Natur“.
In so einem ver-rückten Zustand, gebe ich all meine bewussten und unbewussten Verstrickungen und Rollenspiele auf. Dann haben Geschlecht, Alter, Gesundheitszustand, Wohnort, Beruf, Familienstand und viele andere einengenden Bezeichnungen für mich keine Bedeutung mehr, denn in so einem Moment tauche ich in ein grenzenloses, zeitloses und göttliches Bewusst-Sein ein.
Auch wenn keine Worte ausreichen, einen so erhabenen Zustand zu beschreiben, lassen manche Aussagen von Weisen und Erleuchteten diese unfassbare und undenkbare Tiefe erahnen:
„Wenn ich erkenne, dass ich Nichts bin – das ist Weisheit.
Wenn ich erkenne, dass ich Alles bin – das ist Liebe.
Und zwischen diesen beiden fließt mein Leben.“
Nisargadatta Maharaj
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Begriffe: Absolute, Balance, Energie, Geist, Göttliche, Körperbewusstsein, Leben, Lebenssinn, Lebensweise, Meditation, Patanjali, Selbstbewusstsein, Spiritualität, Yoga-Sutra




