„Sei dir immer bewusst, dass der Körper nur ein temporäres Phänomen ist, ein Leihobjekt der materiellen Welt. Der Grund für die Yogapraxis besteht jedoch darin, jenes zu umfassen, was permanent ist – das höhere Selbst oder Atman. Mach daher deine Praxis zu einem Ausdruck des Göttlichen in dir, und beobachte das, was du machst in einer distanzierten Weisen und mit einem inneren Lächeln.“ 

Aadil Palkhivala

Regelmäßig habe ich die Gelegenheit, bei Yogalehrer-Ausbildungen ein spezielles Modul zu unterrichten: Dabei geht es darum angehenden Yogalehrern – oder jenen, die ihre Yogaunterrichts-Kenntnisse vertiefen wollen – näher zu bringen, was Yoga mit Spiritualität und Meditation zu tun hat und wie man Meditation im Yoga-Unterricht einbaut.

Unterschiedliche Yogalehrerausbildungen setzen zwar verschiedene Schwerpunkte, aber bei vielen der unzähligen Angebote stehen der körperliche Aspekt und die Asana-Praxis extrem dominant Vordergrund. Das bedeutet, dass der meditative und uns spirituelle Bereich, der bis ins letzte Jahrhundert in der langen Geschichte des indischen Yoga so wesentlich war, zu einem Nebenschauplatz geworden ist. Speziell in den „fast-yoga-trainings“ mit kaum mehr als 200-Unterrichtsstunden, geht es eigentlich oft nur noch um Körper-Training.

Regelmäßig erfahre ich bei den Vorstellrunden in Ausbildungen, dass heutzutage Yoga (und dabei meine ich nicht nur die Asana-Praxis), kaum noch als Mittel gesehen wird, um Gedankenbewegungen zur Ruhe zu bringen (yogaś-citta-vṛtti-nirodhaḥ). Und wenige wissen, dass ursprünglich Asana ein stabiler und angenehmer Meditationssitz (sthira-sukham-āsanam) bedeutet hat. Das ist eigentlich nicht weiter verwunderlich, denn einerseits ist unser Lebensstil nicht mehr sehr körpergerecht und daher das Bedürfnis groß, etwas für unsere physische Hülle zu tun. Andererseits sind wir nun mal eine Vata-gestörte Gesellschaft, die zwischen Überaktivität (Rajas) und totaler Erschöpfung (Tamas) hin und her pendelt. Viele Menschen und Yogapraktizierende haben verlernt, von Zeit zu Zeit bewusst innezuhalten und mit sich und der Welt in Frieden zu sein (Sattva) … oder eben auch Meditation im Yoga-Unterricht zu lehren oder zu lernen.

Mir ist es daher ein Bedürfnis, Yogalehrende nicht nur spezifische Meditations-Übungen mitzugeben, sondern auch folgende Tipps, damit sie mehr meditative, sattvische und spirituelle Qualitäten in ihren Unterricht einfließen zu lassen … und damit auch das ursprüngliche und zeitlose Ziel des Yoga.

1. Bewusstheit und Gelassenheit

Durch Yoga sollte Multitasking zum Solotasking reduziert werden und damit wird auch die Sensibilität für Stressursachen geschärft. Deswegen lasse ich Teilnehmer, die oft genug schon einen stressigen und reizüberfluteten Alltag hinter sich haben, am Anfang einer Yogasession einfach mal in Ruhe und bei stimmiger beruhigender Musik ankommen. (Allerdings beschalle ich sie während des Unterrichts nicht mit Musik.)
Übrigens sind auch Yogalehrende, die nicht gelernt haben, Resilienz zu entwickeln und ihr inneres Gleichgewicht zu bewahren herzustellen, burnout-gefährdet.

2. Authentizität und Bescheidenheit

Diese zwei Qualitäten werden wir durch das Nach-Innenschauen und durch die Feinfühligkeit einer meditativen Praxis entwickeln. Ein Yogalehrer muss sich weder den Mantel eines Physiotherapeuten noch den eines Psychologen anziehen. Yoga ist kein Allheilmittel und daher ist es verantwortungsvoll, spezielle und problematische Themen den dafür ausgebildeten Profis zu überlassen.

3. Lebensinn

Durch erlebte Meditation und gelebte Spiritualität werden wir uns bewusster, was unser Dharma (Lebenssinn) und unser Ikigai tatsächlich ist und welche tiefen Herzenswünschen in uns schlummern, die im Leben und im Yoga nicht unbedingt mit Tradition und Trends übereinstimmen.

4. Die Gunas

Die Gunas sind ein genialer Kompass für die Yogapraxis und fürs Leben ist ein so einfaches, geniales und zeitloses Tool der Veden für die Gegenwart. Jeder kann dadurch selbst herausfinden, ob die Art, wie er Yoga versteht, umsetzt und unterrichtet tatsächlich Tamas (Trägheit und Unbewusstheit) und Rajas (Unruhe und Stress) reduziert und Sattva (Lebensbalance und Lebensfreude) zur Entfaltung bringt.

5. Intuition

Bei vielen modernen Formen des Yoga steht der sichtbare Körper, die definierbare Anatomie und eine ideale Haltung im Vordergrund. Dabei geht manchmal das intuitive Spüren verloren und jene feinen Erfahrungen, die sich weder in Worte fassen lassen noch durch wissenschaftliche Erklärungen verstehen lassen. Genau diesen offenen, mystischen und spirituellen Raum deckt die Meditation ab und bewirkt, dass Yoga tiefer und weiter erlebt wird.

6. Ganzheitlicher Yoga

Da es zum Glück immer mehr Yogapraktizierende gibt, die Meditation als unersetzlichen Bestandteil des ganzheitlichen Yoga sehen, kann es nur von Vorteil sein, wenn ich mir diesbezüglich als Yogalehrer zumindest ein paar grundsätzliche Erfahrung aneigne. Denn um was geht es letztendlich im Yoga und im Alltag: Um eine perfekte Körperhaltung oder um ein ausgeglichenes und freudvolles Leben.

7. Absolute Realität

Und schließlich sollten wir als Yogapraktizierende und Lehrende nicht vergessen, dass es im Yoga nicht nur um die physischen und psychischen Ebenen und das Menschsein geht, sondern auch – oder vielleicht vor Allem – um jene absolute Realität, die zeitlos, bedingungslos und mit unserem vergänglichen Körper und beschränkten Verstand nicht erfassbar ist.

Gerade in Zeiten, in denen Unachtsamkeit, Verwirrung, Unsicherheit, Angst, Irritation oder Respektlosigkeit am Zunehmen sind, ist es meiner Meinung wichtiger denn je, mehr Spiritualität und Meditation im Yogaunterricht zu integrieren. Denn dadurch können neue heilende und friedvolle Räume in uns und um uns geschaffen werden.